Da fliegt dir doch das Blech weg. Oskar Zieta pumpt Blech mittels Wasserdruck auf und sorgt so für einen neuartigen Möbeltypus.

Foto: Hersteller
Der Tag, an dem Oskar Zieta auf die Idee kam, einen aufblasbaren Stuhl zu entwerfen, könnte ein Sommertag gewesen sein. Die Hitze staute sich in den Straßen von Zürich, vor der Bergkulisse flimmerte die Luft, und wer konnte, sauste in die Badi, die Schwimmanstalten an der Limmat, oder sprang in den Zürisee. An den Armen der kleinen Kinder pickten Schwimmflügel in Orange oder Gelb. Der Architekt schaute sich die Flügelchen an, dachte an Wasser, an sein Lieblingsmaterial Blech, den CNC-Laser im Institut ... und da war er, der Geistesblitz!

So hätte es sein können. Die Wirklichkeit war viel weniger malerisch. Oskar Zieta, Architekt aus dem polnischen Stettin, hatte sich 2001 in Zürich für ein Nachdiplom-Studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule eingeschrieben, Computer Aided Architectural Design (CAAD) stand auf dem Lehrplan. In dieser Zeit realisierte der heute 32-Jährige: Die Verarbeitung des Materials Blech mit dem Laser ist eine Nische, die von kaum einem Architekten oder Designer besetzt ist. Die Technologie ist teuer, Entwicklungen auf dem Blechsektor gehen langsam vor sich. Nicht aber, wenn man auf die Infrastruktur einer Hochschule zurückgreifen kann. So kam es, dass der junge Architekt begann, alles zu lasern, was ihm unter die Finger kam, sprich: seine Finger gezeichnet hatten. Dabei diente ihm der Laser als Trenn- und Fügverfahren, und er schnitt und schweißte, was das Blechzeug hielt.

Hart, kantig, scharf

"Fantasieren mit Blech" heißt heute sein griffiger Leitspruch, und wer sich fragt, wie ausgerechnet Blech Leidenschaft hervorrufen kann, fragt Oskar: "Hart, kantig, scharf - das sind die Assoziationen, die man vom Blech kennt. Zugleich tut jedes Blechprodukt so, als wäre das Material homogen. Was es nicht ist!" Schon vom Herstellungsprozess her nicht. Das Metall wird so lange gewalzt, bis es eine bestimmte Dicke erreicht hat, doch diese Behandlung zieht einen Effekt nach sich, den man vom Ausrollen eines Kuchenteigs kennt: Das Metallblech ist nie an allen Stellen gleich dünn. Um genau diese Uneinheitlichkeit ging es Zieta: "Ich wollte ein Produkt schaffen, das seine Eigenschaften nicht verbirgt." Ein Produkt wie sein Möbel namens Chippen-steel. Ein Stuhl, eindeutig aus Metall. Optisch jedoch irritierend nah an aufgeblasenem Kunststoff, an Blob-Produkten. Sein Name nimmt unverhohlen Bezug auf die Chippendale-Möbel, die englischen Stil-Möbel aus dem 18. Jahrhundert. "Erst wollte ich die Sofas nachbauen, diese Lederkolosse mit den charakteristischen Noppen", sagt Zieta. "Als es nicht klappte, bin ich eben übergangen zum Stuhl."

Freunde von ihm würden jetzt sagen, typisch Oskar. Er ist der klassische Tüftler, berichten sie, einer, dem tausend Ideen zugleich im Kopf herumwirbeln und der werkelt, bis eine von ihnen klappt. Einer, der in Kauf nimmt, auf diesem Weg auch einmal ein windschiefes Tischchen, einen nicht standfesten Hocker als Prototyp zu entwerfen. Stimmt's? Oskar lacht, bevor er sagt: "Ich bin spontan. Teste viele Dinge durch. Aber als ehemaliger Leistungssportler geb ich auch nicht auf!" Zu sehen an seinem Chippensteel, der durchaus als kleine Meisterleistung anzusehen ist. Aus einem flachen, ja zweidimensionalen Material, einer Blechplatte, wird eine dreidimensionale Sitzgelegenheit. Mittels Wasser. Klingt verrückt, aber Wasserdruck von innen verformt die miteinander verschweißten Bleche, die zuvor im CNC-Verfahren mit dem Laser ausgeschnitten wurden. Das Wasser wird nach dem "Aufpumpen" des Möbels wieder abgelassen.

"Hydro-Forming"

Schweißpunkte im Inneren der Fläche steuern dabei, wie sich das Blech während des sogenannten "Hydro-Forming" verändert. Der Druck und die Dicke des Bleches sorgen dafür, dass sich der Stuhl wie vorausberechnet verformt und stabilisiert. Die Automobilindustrie setzt diese Innenhochdruckumformung ein, doch Zietas Freie-Innendruck-Umformung unterscheidet sich von dieser erheblich: Sein Verfahren kommt ohne Werkzeuge wie Stempel und Matrize aus, die bei der klassischen Rohrverformung mittels Wasser nötig sind. "Wir übersetzen Verfahren, die es gibt, in Architektur", erklärt er. Wie das Material reagiert, hat der Doktorand im ETH-Studiengang bei Professor Ludger Hovestadt gelernt.

Heute pendelt Zieta zwischen Zürich und dem polnischen Grünberg, das liegt grob gesagt zwischen Berlin und Posen. Dort hat der Architekt eine kleine Fabrik errichtet und sucht nun nach Auftraggebern im Umland. Fast aus Versehen wurde er zum Produzenten, denn wer hätte ahnen können, dass die ETH plötzlich ihren Laser verkaufen will - eben jenen, mit dem Zieta jahrelang gewerkelt hatte. "Wir brauchen den nicht mehr", sagte sein Professor, und weil eine eigene Fabrik schon lange Zietas Traum gewesen war, fragte er frech nach dem Preis. Ein paar Verhandlungen und mehrere zehntausend Franken später besaß er diesen Laser, zwei Lkws benötigte er, um ihn abtransportieren zu lassen. Und als wäre das nicht schon Aufregung genug für ein junges Architektenleben, erzählt Zieta die Story von der vergangenen Mailänder Möbelmesse.

Technologisch anders

Zwei Wochen vor Beginn des Salone Satellite ergatterte er als Nachrücker einen der begehrten Plätze. Da waren längst alle Hotelzimmer ausgebucht, aber Zieta besorgte sich einen Wohnwagen, packte Chippensteel und 20.000 Flyer unter den Arm und fuhr in Begleitung eines Architektenkollegen los. "Wir hatten einen Riesenerfolg. Nicht weil wir formal anders waren, sondern technologisch anders", sagt Zieta. Am Ende waren alle Flyer verteilt, und ein paar ernsthafte Kontakte zu Unternehmen entstanden.

Designer will er nicht sein, lieber bezeichnet sich der Architekt als Prozessdesigner. Das ist schön zwischen den Disziplinen, die Zieta so charakterisiert: "Design ist mit einem Punkt am Ende, Architektur aber eine lange Geschichte ohne Punkt." Er hat seinen Punkt noch nicht gesetzt. Nicht zuletzt, weil er weiß: Was das Material angeht, steht er noch am Anfang. Sehr weit ist Oskar Zieta aber mit seiner Technologie, die er entwickelt hat. 50 Stück seines Hockers Blow up sind seit kurzem in den Magazinläden des Design-Versandes Manufactum erhältlich. Und für die neu eröffnete Boutique Kawaii in der Wiener Lindengasse hat Zieta gerade gemeinsam mit dem Wiener Architekten Georg Grasser eine sehr große, sehr leichte Blechtür entworfen und in seiner polnischen Fabrik "aufgeblasen". (Mareike Müller/Der Standard/rondo/11/01/2008)