Der kürzlich im 86. Lebensjahr verstorbene legendäre Chefreporter der "Süddeutschen Zeitung", Hans Ulrich Kempski, bezeichnete einmal als seine wichtigste Erfahrung "die Tatsache, dass es in der Regel außergewöhnliche Menschen sind, nicht aber Ideologien, Programme oder strategische Konzepte, die den Verlauf politischer Vorgänge bestimmen und damit den Gang der Geschichte".

Heute sind die Bilder und die Berichte dank der digitalen Technik sofort, überall und von jedermann abrufbar. Die Kehrseite des Internets und des Satelliten-TVs ist freilich oft die Geschwindigkeit, mit der die Medien die menschlichen und moralischen Schwächen der noch vor kurzem gefeierten oder bewunderten Politiker entlarven.

Für viele war und ist zum Beispiel Gorbatschows pauschale Rückendeckung für Wladimir Putin enttäuschend. In einer ganzen Serie von Artikeln und Interviews hat er vor Jahresende jede Kritik an Putins autoritärem Kurs zurückgewiesen und ihn als einen demokratisch orientierten, weisen und mutigen Staatsmann bezeichnet.

Die in vielen Zeitungen abgebildeten Werbefotos Gorbatschows, wie er aus einer Limousine die Berliner Mauer anschaut, mit einer Louis-Vuitton-Reisetasche neben ihm auf dem Sitz, hat ein Leitartikel in der "New York Times" als den traurigen Abstieg einer Heldenfigur unserer Zeit bezeichnet. Ein Staatsmann, der sich als Werbegag für ein Produkt hergibt, werte selbst seinen historischen Verdienst ab. Wie viel Gorbatschow für das Inserat erhielt, wissen wir nicht; die Firma Vuitton soll "eine bestimmte Summe" an einen von ihm geleiteten Umweltfonds bezahlt haben.

Im Falle des früheren deutschen Bundeskanzlers und sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, Gerhard Schröder, nehmen sich die großen deutschen Zeitungen kein Blatt vor den Mund. So spricht "Der Spiegel" von einer "Schröder GmbH, gegründet 2005, einem internationalen Kleinunternehmen zur Anbahnung und Vertiefung von Geschäften. Der Altkanzler ist darin verlorengegangen. "Er betreibe als bezahlter Lobbyist einer Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Gasprom eine Art Nebenaußenpolitik: mit unterschwelliger Kritik an der Kanzlerin in China, mit Trommeln für Russland."

Auch "Die Welt" hat Schröder als "des Kremls größten Fürsprecher" scharf angegriffen. Willy Brandt und Helmut Schmidt in Deutschland, Bruno Kreisky in Österreich und Jacques Delors in Frankreich waren als unabhängige Elder Statesmen geschätzt. Dagegen sei Schröder ein Elder Salesman (so der "Spiegel") ein Handlungsreisender – übrigens nicht nur für Gasprom.

Ob Schröder für seinen Auftritt bei einem großen chinesischen Unternehmen sogar zwei Millionen Dollar bekommen haben soll, weiß man ebenso wenig wie die Summe, die Tony Blair, bis Juni britischer Premierminister, mit insgesamt vier Reden in einer November-Woche in China verdient hat. Fest steht, dass Blair allein für eine 20 Minuten lange Rede vor Parteibonzen und Geschäftsleuten in einer südchinesischen Stadt eine halbe Million Dollar erhielt. Auch die langjährige ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsidentin Norwegens, Gro Harlem Brundtland, hat sich der Sünde der Habgier schuldig gemacht. Sie gab zu Jahresbeginn bekannt, sie habe ihre großen Vortrags-und Konsulenteneinnahmen den Steuerbehörden nicht gemeldet und zahlte auch keine Steuern von ihrer hohen Rente dank ihrer Übersiedlung 2004 nach Nizza.

So fallen immer mehr prominente PolitikerInnen wegen ihrer Gier auch als unabhängige Stimmen in der Weltpolitik aus. Von Schröder bis Brundtland haben sie sich selbst moralisch ins Abseits gestellt. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2008)