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Slava Polunin

Foto: REUTERS/Handout

Wien – Dem Theaterverzauberer Slava Polunin verdanken wir einen eigentlich für unmöglich gehaltenen Archetyp: den sogenannten "Gelbclown". Dieser späte Nachfahre diverser Marc-Chagall-Figuren steht auf der mitternachtsblau zugestellten Bühne der Museumsquartier-Halle E, während bereits der Zuschauerraum von Papierschnitzel zugeweht erscheint wie ein sibirischer Landstrich zur russischen Jahreswende.

Es herrscht unverantwortlicher Traumwinter in der Revue "Slava's Snowshow" (Regie: Victor Kramer), und unser gelb gewandeter Freund mit glorioser Cirque du soleil-Vergangenheit hat eine Tauschlinge um den Hals liegen. Er muss zirka 40 Meter Seil aus der Gasse hereinziehen, um (s)einen Leidensgenossen an Land zu ziehen: einen multiplen Gesellschaftsclown-Kollegen mit noch traurigeren Augen und noch tiefer hängender Rot-Nase, dessen Wollmützenohren steif wie Helikopterflügel abstehen.

"Slava's Snowshow" verdankt ihre betörenden Zaubermomente einer verwirrenden Alchemie. Dem Traumtheater einer Gesellschaft aus Gelb-, Weiß- (und Grün?-)Clowns ist eine kindliche Theatermaschine angehängt. Diese lässt je nach Bedarf Seifenblasen blubbern, schüttelt Papierschnitzel aus Trommeln wie eine postmoderne Frau Holle – und schießt zum Kehraus Plastikbälle ins Publikum, was unwillkürlich die tief einsitzende Angst vor jeglichem Mitmachtheater vergessen lässt.

Locker verleimte Szenen

Natürlich haben wir es bei dieser vielgefeierten Tourneeproduktion mit einer aalglatten Nummernrevue zu tun. Die Herren Spaßmacher sind aus nicht näher bekannten Gründen von einer tiefen Melancholie angekränkelt. In den locker verleimten Szenen und Bewegungssketches dominieren Flucht- und Fernegedanken über das tapfere Ausharren im Papierschnitzelschnee. Ein Bett mit Besenstiel-Bug sticht in eine noch unbekannte See; ein aushäusig Wohnender, vielleicht gewaltsam Vertriebener gerät in ein zauberhaftes Tête-à-tête mit seinem eigenen Mantel am Kleiderständer.

Alles gleitet, rutscht und schlittert – doch warum sollte man darüber böse sein, dass die Dramaturgie in Herrn Polunins Zirkus gemäß einer nicht näher bekannten Traumlogik wie toll changiert?

Das Sinnbild dieser höchst effektiven Theaterverführung wird zum Ende des ersten Revueteils buchstäblich ausgespannt: Ein grobmaschiges Spinnennetz gleitet über die Häupter und Hände der Zuschauer. Wären da nicht gelbe Sonnenbällchen und überlebensgroße Blasen – man würde glatt traurig werden über so viel rückwärtsgewandte Melancholie. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.1.2008)