Einer will das Opfer einer Verwechslung sein, einer glaubt, unschuldig zu sein - Von Michael Simoner

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Wien – "So, hammas jetzt endlich?" Richter Peter Liebetreu hat Mühe, in Saal 203 des Wiener Landesgerichtes die Sitzordnung auf der Anklagebank durchzusetzen. Sechs Beschuldigte sind gar nicht so leicht im Halbkreis vor dem Schöffensenat unterzubringen, schließlich passt aber alles: Drei links, drei rechts, von Amtsmissbrauch bis Schlepperei. Da sitzt es nun, das "kriminelle Netzwerk" der so genannten Visa-Affäre, das zwischen 2002 und 2005 mehr als 8000 Serben und Moldawiern die illegale Einreise in den Schengenraum ermöglicht haben soll. Die Verantwortung der Angeklagten – fünf Männer und eine Frau – reicht von "unschuldig" und "ich glaube, unschuldig" über "teilschuldig" bis zu "in allen Punkten schuldig". Bis zu zehn Jahre Gefängnis stehen auf dem Spiel.

System der Visa-Fabrik

Am ersten von zwanzig geplanten Verhandlungstagen erläuterte Staatsanwalt Friedrich Koenig am Mittwoch, wie das "System der Visa-Fabrik", das rund um den inzwischen bereits verstorbenen hauptbeschuldigten Generalkonsul an den österreichischen Botschaften in Serbien und in Ungarn aufgebaut worden sei, funktioniert habe. Anschließend gab es eine erste Fragerunde. Alle Angeklagten sind unbescholten.

  • Der Diplomat: Peter H. (44), bis zu seiner fristlosen Kündigung vor drei Jahren Konsularsachbearbeiter mit Visumslizenz, schob die Verantwortung größtenteils auf seinen verstorbenen Vorgesetzten ab. Als Vizekonsul in Budapest habe er lediglich "weisungsgebunden" gehandelt, Sichtvermerke seien "analog" zur Vorgehensweise des Generalkonsuls ausgestellt worden.

    "Armes Hascherl"

    Dass Visa erschlichen und erkauft worden seien, habe er nicht gewusst. Und außerdem: "Wenn ich gegen die Anordnung gehandelt hätte, wäre meine Karriere bedroht gewesen." Nach dem Einwurf von Staatsanwalt Koenig, "sich bitte nicht als armes Hascherl darzustellen", gab Ex-Diplomat Peter H. zu, einmal 15.000 Euro angenommen zu haben. Wofür, konnte er aber nicht erklären.

  • Der Rolex-Spender: Klaus H. (74) wiederholte vor Gericht seine vor drei Wochen abgelegte "Lebensbeichte". Der deutsche Möbelhändler gab massenhaft für Visa notwendige Einladungserklärungen ab, um mit den finanziellen Gegenleistungen seine Schulden zu begleichen. Über den serbischen Reiseveranstalter "Tina Tours" seien hunderte moldawische Staatsbürger per Bus direkt zur österreichischen Botschaft in Budapest gekarrt worden, wo der damalige Generalkonsul ungeprüft Schengenvisa ausgestellt habe. Kuverts mit Bargeld und kleinen Geschenken, wie eine Rolex-Uhr, hätten die Freundschaft erhalten. Der Erstangeklagte Peter H. sei aber nicht involviert gewesen.

  • Der Trachtenhändler: Auch Alois K. (55) gestand, "leider Gottes der Macht des Geldes" erlegen zu sein. Der Trachtenhändler aus dem Burgenland wollte ebenfalls den drohenden Konkurs abwenden, indem er sich Einladungserklärungen teuer bezahlen ließ. Er belastete den Ex-Diplomaten Peter H. schwer. Er habe nur mit ihm "Geschäfte gemacht".

  • Der Doppelgänger: Dusan V. (36) gestand, dass er Dusan V. ist. Und nicht sein gleichnamiger Onkel, mit dem er offenbar verwechselt werde. Zeugen sollen den serbischen Ex-Polizisten und jetzigen Kindergarten-Betreiber aber als Visa-Händler identifiziert haben. Ob dabei auch seine "Darabos-Brille" (aber in Blau) eine Rolle gespielt hat, wird der Prozess noch zeigen.
  • Der Fußballmanager: Milivoje V. (53) schloss zwar nicht aus, dass er Fehler gemacht haben könnte, aber wenn, dann sicher nicht mit Vorsatz oder Absicht. Dem serbischen Fußballmanager wird vorgeworfen, bei der Visa-Erteilung für 30 Sportler oder deren Angehörige "nachgeholfen" zu haben. Er selbst will dafür aber nie bezahlt oder kassiert haben.
  • Die Familienhelferin: Zorica R. (40) hat laut Richter Bleibetreu von Anfang an "Klartext gesprochen". Die Verkäuferin aus Serbien hat in Österreich lebende Bekannte zu Einladungsverpflichtungen überredet, damit Verwandte nachkommen können. Auch diese Fälle sollen bei Peter H. wie geschmiert gelaufen sein.

    Die Verhandlung wird am kommenden Freitag fortgesetzt. (Michael Simoner/DER STANDARD Printausgabe 10.1.2008)