Zur Person Stefan August Lütgenau (43) ist Historiker mit dem Arbeitsschwerpunkt NS-Geschichte in Wien. Zuletzt erschienen "Human Rights and a Middle East Peace Process".

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Die meisten Israelis wollen Frieden, sind aber zu Zugeständnissen an die Palästinenser nicht bereit, sagt der Historiker Stefan August Lütgenau zu András Szigetvari. Darum gehe auch der Siedlungsbau in Ostjerusalem weiter.

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STANDARD: Nach der Nahostkonferenz in Annapolis hat Israel den Ausbau der Siedlungen Har Homa und Ma'aleh Adumim angekündigt. Ist der Annapolis-Prozess damit zu Ende?

Lütgenau: Diese Ankündigung ist kein besonderer Pendelausschlag, sondern ein Zeichen der Mainstream-Politik in Israel, die Fakten am Boden schaffen will. Seitdem es die Siedlungspolitik überhaupt gibt, ist der Ausbau bestehender Siedlungen ein zentrales Element israelischer Politik. Da hat sich nichts geändert. Also selbst wenn es ein positives Signal von Annapolis gegeben haben sollte, ist das kein Grund, um die Siedlungen nicht auszubauen.

STANDARD: Die Devise lautet also: Was einmal gebaut wurde, muss nie wieder abgerissen werden?

Lütgenau: Ja. Der andere Punkt ist, dass im Bewusstsein der meisten Israelis nur teilweise präsent ist, dass man im Westjordanland völkerrechtswidrig agiert.

STANDARD: Warum?

Lütgenau: Weil die Siedlungspolitik seit fast 25 Jahren komplett internalisiert ist. So ist zum Beispiel in Jerusalem oft schon gar nicht mehr klar, wo die Grenze verläuft. Und immer mehr rückt die sichtbare Grenze - nämlich die Mauer - in das Bewusstsein als offizielle Grenze. Aus dieser Perspektive liegen die beiden Siedlungen Har Homa und Ma'aleh Adumim ja auf israelischer Seite.

Das Problem ist, dass diese Politik zum Teil international sanktioniert ist. Ich erinnere nur an ein Schreiben von US-Präsident George W. Bush an Israels Premier Ariel Sharon (im April 2004, Anm.), indem Bush Sharon zusichert, dass große Siedlungsblöcke innerhalb des Westjordanlandes nicht aufgegeben werden müssen. Andererseits hat auch die EU das jenseits von Lippenbekenntnissen nie zu einem großen Thema gemacht.

STANDARD: Aber alle Umfragen zeigen einhellig, dass die absolute Mehrheit der Israelis Frieden will.

Lütgenau: Das ist richtig. Aber 59 Prozent der Israelis lehnen ab, arabische Teile Jerusalems abzugeben. Der Friedenswillen ist auf israelischer wie auf palästinensischer Seite da. Wenn man fragt, ob Frieden möglich ist, ist die mehrheitliche Antwort schon Nein. Und wenn es dann um konkrete Bedingungen geht, dort wo es darum geht, die politischen Kosten zu tragen, ist die Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit.

STANDARD: Könnte der Bush-Besuch in Israel etwas in Bewegung bringen?

Lütgenau: Die Stellungnahme der USA ist immer von herausragender Bedeutung in Israel. Wenn aus Washington das Signal kommt, dass man den Siedlungsbau nicht unterstützt, werden bestimmte Positionen in Israel überdacht werden. Israel ist ein demokratischer Staat, wo häufig Meinungsumschwünge stattfinden. Bush kann von den Israelis bestimmte Zugeständnisse erreichen, aber mehr als Randkonzessionen wird es ohne Druck nicht geben. Und der wird von Bush sicher nicht kommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2008)