Große Teile der nationalen Rechten, aber auch linke Gruppen verlangen eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag. Besser: die in Lissabon beschlossene EU-Verfassung. Zweifellos gibt es prinzipielle Bedenken wie die Einschränkung der nationalen Souveränität oder die Gefahr einer neuen Rüstungsspirale durch eine europäische Armee (der auch ich skeptisch gegenüberstehe). Beides aber wird im Reformvertrag bloß festgeschrieben. Der Verlust an Souveränität ist längst Wirklichkeit, und die Armee gibt es als Eingreiftruppe.

Wozu also eine Volksabstimmung? Den linken Gruppierungen ist es damit genauso ernst wie den rechten. Der Unterschied: Die rechten haben Parteienstärke und können mit Steuergeldern eine Werbekampagne inszenieren, die alle nur möglichen Vorurteile populistisch nützt. Dazu käme der Einsatz der Kronen Zeitung und Hans Dichands persönlich, der seine Anti-EU-Positionen jetzt auch mittels wöchentlicher Hochglanzbroschüre in den Wiener U-Bahnen verbreitet.

Was die meisten Unterstützer nicht überlauern würden: Dass eine solche Abstimmung für Strache & Co nur der Start einer Austrittsbewegung wäre. In der Pressestunde vom 10. Dezember kündigte er an, wofür die Schweizer Regierung vermutlich nicht zur Verfügung stünde - statt der EU-Mitgliedschaft will die FPÖ eine "Partnerschaft mit der Schweiz". Dass dies beispielsweise auch den Austritt aus der Euro-Zone bedeutete, sagte Strache nicht dazu. Weil politische Abenteurer wirtschaftliche und soziale Unruhe brauchen, um mit ihren Parolen zu punkten.

Während das Verhalten der nationalen Kräfte letztlich kalkulierbar ist, muss man den Umgang der Regierungsparteien, aber auch industrieller Kreise mit dem Instrument der Volksabstimmung als extrem unseriös einstufen.

Volksabstimmungen sind notwendig, wenn die Grundordnung eines Staates oder wenn moralische Prinzipien der Gesellschaft verändert werden. Die Abschaffung oder Beibehaltung der Todesstrafe ist eine solche Frage, der Beitritt zur EU war es ebenfalls. Bei der Atomkraft bin ich mir nicht so sicher, weil hier bereits gefragt werden kann, ob nicht die gewählten Volksvertreter ausreichen.

Reiner Opportunismus ist, wenn Bundeskanzler Alfred Gusenbauer eine Abstimmung über den EU-Vertrag ablehnt, eine über den Türkei-Beitritt aber unterstützt. Man weiß genau, was ihn treibt. Eine Ablehnung des EU-Vertrags wäre zu gefährlich, die SPÖ geriete in ein wirtschaftspolitisches Out. Hinter seinen Türkei-Ansichten steht eine Mehrheit, die er nicht brüskieren möchte. Grundsätze? Wurscht.

Noch opportunistischer ist die plötzliche Entdeckung der Basisdemokratie durch Unternehmer und Manager. Bei der Euro-Einführung war keine Rede davon , das Volk zu fragen. Jetzt, da es um die Hereinnahme der Türkei geht, entdeckt man jene direkte Demokratie, die sonst überhaupt kein Thema ist. Eigentliches Motiv ist die Angst vor dem Islam, dessen Vordringen durch die Abwehr türkischer EU-Ambitionen sicher nicht gebremst wird - eher forciert.

In einen argumentativen Notstand bringt Industrielle und Wirtschaftsleute der EU-Vertrag. Da sind sie wieder eher gegen eine Abstimmung, sofern sie mit ganz rechts nichts am Hut haben. Wohl ist ihnen dabei jedoch nicht. Denn es gibt für ihr wechselhaftes Verhalten keine solide rechtliche Basis. Sie treiben Schindluder mit der direkten Demokratie. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 7.1.2008)