Die Uhr im "Jonasreindl" hat kapituliert. Nicht erst seit ein paar Tagen - nein, seit Wochen, ja seit Monaten weigert sich der Chronometer in der unteren Straßenbahnstation am Schottentor beharrlich, irgendeine Zeit anzuzeigen.

Es muss sich daher um eine wahrlich tiefgehende Störung handeln, und man kann nur erahnen, was diese Uhr neben fünf Straßenbahnanzeigetafeln mitgemacht haben muss. In direkter Nachbarschaft neben den digitalen Versprechungen der Linien 37, 38, 40, 41 und 42, die sich mit ihren Wartezeiten keinen Tick lang um das von der Uhr korrekt angezeigte Zeit-kontinuum kümmerten.

Solch geradezu unglaubliche Zeitverwerfungen kann man auch weiter stadtauswärts beobachten; in Hietzing bei der Straßenbahnhaltestelle Kennedybrücke. Und dort sind es auf der einen Seite zwei Straßenbahnlinien, die die Zeit wie in einem Dalí-Gemälde zerrinnen lassen.

18.25 Uhr zeigte dort kürzlich der offizielle Chronometer - und gegenüber versprachen die zwei Anzeigetafeln, dass die nächsten Züge der Linien 10 und 60 in jeweils vier Minuten abfahren würden.

Zwei Minuten später zeigt die Uhr, wie es sich gehört, 18.27 Uhr an. Der 10er ist diszipliniert und will in zwei Minuten kommen. Der 60er lässt sich hingegen immer noch vier Minuten Zeit.

Um 18.29 Uhr ver-tschüsst sich die Garnitur der Linie 10 tatsächlich in Richtung Hernals - während der 60er gerade einmal gnädigerweise eine Minute nachgegeben hat.

Und so geht das weiter: Bis die Straßenbahn in Richtung Rodaun endlich geruht einzufahren, wird die Abfahrt des nächsten 10ers bereits zwei Minuten später versprochen.

Zu alldem muss die Uhr gegenüber unverdrossen ihre Zeit anzeigen; ein Gerät, dem als oberstes Prinzip und alleinige Bestimmung die Pünktlichkeit eingebaut wurde. Wenn man sich dieses Tohuwabohu jetzt mit fünf "Bim"-Anzeigen in der Station Schottentor vorstellt, ist es eigentlich kaum verwunderlich, dass eine Uhr mit nur halbwegs intaktem Berufsethos irgendwann einmal beschließt: Ich mach da nimmer mit! Schluss! Ausgetickt!

Die Wiener Linien haben wohl erkannt, dass es kaum mehr gelingen wird, den streikenden Chronometer wieder auf den Stand der Zeit zu bringen - und versuchten bisher gar nicht einmal, ihn mittels Reparatur wieder zu motivieren.

Und die Inhaber des schicksten Stehcafés in der Station respektieren diese finale Zeitverweigerung - sie stellen nun regelmäßig neben der Eingangstüre ein Schild auf, an dem eine große Uhr hängt. Dazu die Aufschrift: "Diese ,Ersatz'-Uhr widmet Euch Eure Kaffeeküche." (Roman David-Freihsl, DER STANDARD - Printausgabe, 29./30. Dezember 2008)