20) Kids on TV: "Mixing Business with Pleasure" & M.I.A: "Kala"

Dancefloor Politics im Doppelpack zum Auftakt: Beide Alben frönen einem Bastarddisco-Sound, der die Tanzkultur mit Handfesterem anreichert: Die britische Migrantentochter Mathangi Arulpragasam alias M.I.A versammelte auf Weltreise regionale Einflüsse gegen monokulturelle Hegemonien (Xl/Edel), die queere Agit-Pop-Band Kids on TV aus New York setzt auf Trash und kabarettistische Live-Auftritte (Chicks on Speed Records/Soulseduction). Beide folgen der alten Maxime: Move your ass and your mind will follow!

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M.I.A

Coverfotos: Chicks on Speed Records, Xl/Beggars

19) Misha: "Teardrop Sweetheart"

Globetrotting, die Zweite: Ashley Yao und John Chao aus Taiwan haben sich in New York niedergelassen und drechseln dort wunderschöne Song-Miniaturen aus den beiden Strängen Elektro- und Sixties-Pop. Ähnlich wie beim französischen Neo-Chanson verstellt die Lieblichkeit ein wenig den Blick darauf, wie meisterlich die Stücke komponiert und ausarrangiert sind - daher am besten die Songs dosiert anhören anstatt sie nur durchlaufen zu lassen. Eine Platte wie Marzipan. (Tomlab/Soulseduction)

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Coverfoto: Tomlab

18) Klaxons: "Myths Of The Near Future"

Die Newcomer aus London gehörten allerorten zu den Liebkindern des Jahres - und da ist echt schon wesentlich Uninteressanteres gehypt worden. Rave klang zwar irgendwie anders und "New Rave" ist eh längst als Marketing-Gag eingestanden worden - aber wen juckt's, wenn dabei ein Pop-Album herausspringt, das so pompös dahergerauscht kommt wie "Myths Of The Near Future". Believe the hype, ausnahmsweise. (Universal)

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Klaxons

Coverfoto: Universal

17) Verschiedene InterpretInnen: "Worried Noodles"

39 Bands bzw. MusikerInnen waren aufgerufen, die schwarzhumorigen Textschnipsel des schottischen Krakel-Cartoonisten David Shrigley im Lo-Fi-Sound zu vertonen. Von Hot Chip über Psapp bis zu Casiotone for the Painfully Alone kamen sie dem Appell in kongenialer Weise nach. Mit dabei auch Lo-Fi-Pionier R.Stevie Moore, der erste Rückkehrer aus meinen persönlichen 80ern - viele weitere werden noch folgen. [Anm.: Einige personelle Überschneidungen gibt es mit dem wunderbaren "Hallam Foe"-Soundtrack, der hier auch noch einmal ausdrücklich empfohlen sei.] (Tomlab/Soulseduction)

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Coverfoto: Tomlab

16) Anajo: "Hallo, wer kennt hier eigentlich wen?"

Hört man seit Jahrzehnten (lange vor den jetzigen times of plenty) gerne Deutschpop, ist das Regal irgendwann so voll, dass man sich vor lauter Übersättigung nur mehr stilistisch Ausgefallenem widmet. Das trifft auf die Augsburger Band um den famosen Sänger Oliver Gottwald eindeutig nicht zu: Einfach nur Gitarren, Orgel, hohes Tempo und Dauerdur - und dennoch wirkt's unglaublich frisch und originell. Sie haben wohl die Essenz des Pop geschnüffelt. (Tapete/Hoanzl)

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Anajo

Coverfoto: Tapete

15) Edwyn Collins: "Home Again"

Eine große Seele auf der langen Straße nach Hause und zu sich selbst: Ganz wie es dem Grundthema des Albums, dem Wiederaufstehen nach dem Hinfallen, entspricht, hat der 48-Jährige auch nach einer Gehirnblutung und langer Rekonvaleszenzzeit an der Musik festgehalten und sogar bereits wieder Konzerte gegeben. - Und selbst ohne diesen Kontext bliebe "Home Again" mit seinen stillen, aber gewaltigen Balladen eines der berührendsten Alben des Jahres. (Heavenly)

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Edwyn Collins

Coverfoto: Heavenly

14) Les Rita Mitsouko: "Variéty"

Unversehens zum Nachruf auf Fred Chichin ist geraten, was im Sommer noch ein Quell reiner Freude war: Mit "Variéty", das damit an die 80er-Großtaten "Rita Mitsouko" und "The No Comprendo" anschließt, gingen Fred und Catherine heuer zu ihren Wurzeln im anglo-amerikanischen Rock zurück. Artifiziell zwar - aber deutlich straighter und cooler als in den Jahren dazwischen. Ohne es zu ahnen, haben sie damit den Bogen der Bandgeschichte geschlossen. (Six Sarl)

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Les Rita Mitsouko

Coverfoto: Six Sarl

13) The Pierces: "Thirteen Tales Of Love And Revenge"

Sexy boy, girl on girl, ménage à trois: boring. Love of my life, bear your child, everything I've ever wanted: boring. Neben dem in seiner Monotonie schlicht unwiderstehlichen Gassenhauer "Boring" servieren die Schwestern Catherine und Allison Pierce aus New York eine Mischung aus Paisley Pop, Kabarett-Tingeltangel und ein bisschen R'n'B, die so noch kaum gehört wurde. Geht runter wie Öl. (Lizard King Records)

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The Pierces

Coverfoto: Lizard King Records

12) Peter von Poehl: "Going to Where The Tea Trees Are"

Fragilen Folk-Pop in jazzige oder kammermusikalische Arrangements zu hüllen und dazu die Stimme nicht über Säuselvolumen zu heben: das ist unter skandinavischen Musikerinnen fast schon zum Subgenre geworden, konnte in der Hochburg der Gleichberechtigung aber keine Frauendomäne bleiben. Der schwedischstämmige Peter von Poehl ist auf seiner Mission der Sanftmut durch Frankreich und Deutschland vagabundiert und schrieb mit "The Story Of The Impossible" einen der ätherischsten Songs des Jahres. (Herzog Records)

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Peter von Poehl

Coverfoto: Herzog Records

11) Jens Friebe: "Das mit dem Auto ist egal Hauptsache dir ist nichts passiert" & Kante: "Rhythmus Berlin"

Zwei Platten deutscher Zunge mit ähnlichem Effekt: Beide bewegen sich auf (gewohnt) hohem Niveau, bei beiden sticht aber jeweils ein Song besonders heraus. Bei Kantes Vertonung einer Berliner Revue ist es die Stadthymne "Wer hierher kommt, will vor die Tür", ihr rasantester Song seit der "Summe der einzelnen Teile". (Labels/EMI) - Bei Friebe ist's das bombastische Cover der Magnetic Fields-Schnulze "Nothing Matters When We're Dancing": Alles versinkt im großen Ganzen, alles macht nichts wenn wir tanzen. (ZickZack/What's So Funny About)

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Jens Friebe
Kante

Coverfotos: ZickZack/What's So Funny About und Labels/EMI

10) Marc Almond: "Stardom Road"

Coverversionen und ganze Cover-Alben gab's heuer zuhauf - doch wenige waren so gekonnt zusammengestellt wie das von Marc Almond: Ob Charles Aznavours "I Have Lived" oder Gene Pitneys "Backstage (I'm lonely)" - alle beleuchten sie hinter der Glamourfassade der Bühnen-Persona nicht notwendigerweise den wahren Peter Mark Sinclair Almond, sondern den, den wir alle voller Mitleid dort erwarten wollen - womit sich der Mythos durch seine scheinbare Demaskierung endgültig vervollkommnet. (Sanctuary/edel)

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Marc Almond

Coverfoto: Santurary

9) Deborah Harry: "Necessary Evil"

Sollte jemals Norman Spinrads "Little Heroes" verfilmt werden, hier mein Besetzungsvorschlag für die Hauptrolle: Debbie Harry als Glorianna O'Toole, die verrückte alte Dame des Rock'n'Roll, die die Cyberwelt entert, um noch einmal die alten Zeiten hochleben zu lassen: Ziel- und stilsicher, genussvoll geschmacklos, quicklebendig und charismatischer als alle jungen Hühner im Pop-Stall zusammen. Debbie in 3-D, ein Fest. (Eleven Seven Music/Universal)

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Coverfoto: Eleven Seven

8) Seabear: "The Ghost That Carried Us Away"

Mission erfüllt - zumindest innerhalb der Redaktion, wo sich "The Ghost That Carried Us Away" so sachte und beharrlich ausgebreitet hat wie Sickerwasser. Sindri Már Sigfússon hat aus den Mitgliedern diverser isländischer Bands ein harmonisches Folk-Ensemble zusammengestellt, das wie eine Verkörperung des Unspektakulären wirkt ... und dabei so überragend schöne Songs erschafft, dass einem der Atem stockt. (Morr Music/Soulseduction)

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Coverfoto: Morr

7) Pluramon: "The Monstrous Surplus"

My Bloody Valentine machen's mit ihrer angekündigten Comeback-Platte ja ganz schön spannend - bis die dann endlich wirklich erscheint, kann man sich zum Trost Marcus Schmicklers Platte um die Ohren schwirren lassen. Der Deutsche kommt zwar ursprünglich aus gänzlich anderen musikalischen Gefilden, liefert aber gemeinsam mit seinen Sängerinnen Julee Cruise und Julia Hummer ein Shoegazing-Album von höchster Vollendung ab. (Karaoke Kalk/Soulseduction)

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Coverfoto: Karaoke Kalk

6) Velojet: "This Quiet Town"

Die Kanten aufgerauht und an Substanz gewonnen: Das österreichische Quartett übernahm die Stärken des 2005er-Debüts in Sachen schnellen, melodischen Gitarren-Pops und ließ sich von Frontmann René Mühlberger mit mehr Tiefgang versorgen. Und - auch das muss einmal gesagt werden - Marlene Lacherstorfer ist eine der coolsten Erscheinungen am Bass seit Kim Deal. (Wohnzimmer/Hoanzl)

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Coverfoto: Wohnzimmer

5) Matthew Dear: "Asa Breed"

Eine Platte, auf die sich 2007 so gut wie alle Fans elektronischer Musik einigen konnten: Matthew Dear hatte sich vormals als Wunderkind der Detroiter Techno-Szene einen Namen gemacht. Mit "Asa Breed" wagte er schließlich den Sprung in den Pop und ließ dazu sogar seinen honiggoldenen Bariton erklingen - genauso warm und menschlich wie die sorgfältig entstaubten Synthesizer. (Ghostly International/Soulseduction)

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Coverfoto: Ghostly International

4) Of Montreal: "Hissing Fauna, Are You The Destroyer?"

Achtung, Stromschlaggefahr! Of Montreal aus Georgia kommen einem Radiowecker gleich, der in unkontrollierter Abfolge Stücke der Sparks und Violent Femmes mit allerlei Störgeräuschen abspielt, ehe er endgültig funkensprühend Amok läuft. Das einzige, was noch exzentrischer als die Stücke (und erst deren Titel!) ist, sind die Live-Auftritte von Of Montreal: Band-Mastermind Kevin Barnes lässt noch die schrillste Queer-Pop-Formation wie Mauerblümchen dastehen. (Polyvinyl)

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Of Montreal

Coverfoto: Polyvinyl

3) Suzanne Vega: "Beauty & Crime"

Dass ich gerade im Krankenhaus gelegen bin, als ich "Edith Wharton's Figurines" in Dauerschleife gehört habe, soll weder Erklärung noch Rechtfertigung sein (hinterließ allerdings einen prägenden Eindruck). Es liegt einfach ein Zauber über dieser Platte: "Beauty & Crime" ist in seiner lichtvollen Eleganz mindestens so gut wie das Allerbeste, das La Vega an früheren Gipfelpunkten ihrer Karriere schuf. Dass die PR-Maschinen sich längst für Anderes drehen und die Platte weitgehend ignoriert blieb ... traurig, aber wahr. (Blue Note)

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Suzanne Vega

Coverfoto: Blue Note

2) Flowerpornoes: "Wie oft musst Du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?"

Von allen Comebacks des Jahres für mich das schönste: Intelligenz, Poesie und die wohligwärmsten Gitarrenakkorde, in die man sich nur wickeln kann. Der große Humanist Tom Liwa hat nach elf Jahren Pause seine alte Band um sich geschart und lässt komplett vergessen, dass es sie für eine so lange kalte Zeit nicht gegeben hat. (V2/edel)

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Coverfoto: V2

1) Patrick Wolf: "The Magic Position"

... also die Platzierung ist für meine Verhältnisse deutlich weniger überraschend als der Umstand, dass mein allerliebster Song des Jahres einmal den Nicht-Titel "Overture" tragen könnte ... Dass sich an der Spitze meines persönlichen Olymps oft vertraute Namen (ob Patrick Wolf oder Saint Etienne) befinden, liegt an einer nicht zu unterschätzenden Gemeinsamkeit: Es sind MusikerInnen, die sich nicht auf einen einzigen Stil festmachen lassen, sondern eine Palette weit wie der Horizont auffächern - und trotzdem stets unverwechselbar bleiben. Nur wenige beherrschen diese Kunst so vollendet. (Loog/Polydor)

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Coverfoto: Loog