Standard:Gibt es eine neue Kunstrasenära im Fußball?

Fletcher:Die FIFA arbeitet am sogenannten Artificial Concept. Dabei geht es aber nicht darum, mit der Brechstange alle Fußballplätze auf Kunstrasen umzustellen - sondern darum, das Spiel global zu entwickeln. Wir sagen nicht, dass Kunstrasen generell der bessere Belag ist - trotzdem ist er in vielen Fällen die perfekte Alternative: Denn es ist unbestritten, dass das künstliche Grün gegenüber seinem natürlichen Vorbild in heißen, trockenen Klimazonen Vorteile hat. Man kann den Kunstrasen häufiger bespielen - ohne dass die Qualität leidet und die Kosten zu sehr wachsen.

Standard:Das heißt, Naturrasen muss häufiger ausgetauscht werden?

Fletcher:Auf jeden Fall. Spitzenclubs können sich das meistens noch leisten. Die Vorteile von Kunstrasen machen sich daher am meisten bei kleineren Fußballvereinen bemerkbar. Für eine Pilotstudie haben wir einen Fußballplatz in Schottland mit Kunstrasen belegt. Da der Platz deutlich belastbarer war als Naturrasen, hat sich nun eine Frauenmannschaft gegründet, und die Schulmannschaft konnte mehr trainieren. In der Saisonpause, die normalerweise zur Regeneration des Naturgrüns vorgesehen ist, führte der Verein zusätzlich ein Finalturnier der schottischen Schulmeisterschaften durch. Durch die Mehreinnahmen geht es dem Club nun finanziell besser.

Standard:Warum verstummen die Stimmen der Kunstrasengegner dennoch nicht?

Fletcher:Diese Kritiker haben einfach noch nicht auf einem Kunstrasen des höchsten Standards gespielt. Es sind viele alte Kunstrasenplätze da draußen, die darf man nicht miteinander vergleichen.

Standard:Es gibt kein höheres Verletzungsrisiko?

Fletcher:Unsere Studien haben ergeben, dass es keine signifikanten Unterschiede gibt.

Standard:Trotzdem sagen Kritiker, dass Fußball auf Kunstrasen ein anderes Spiel ist.

Fletcher:Stimmt nicht. Wir haben eine Studie beim britischen Unternehmen Prozone in Auftrag gegeben. Sie konnten anhand mehr als hundert Fußballpartien nachweisen, dass sich das Spiel nicht vom Spiel auf Naturrasen unterscheidet.

Standard:Sehen wir 2010 die erste WM, die ausschließlich auf Kunstrasen gespielt wird?

Fletcher: Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Wahrscheinlich aber nicht. Für vier Wochen bekommen wir das Gras auch in Südafrika in den Griff. Langfristig ist Kunstrasen in dieser Klimazone aber sinnvoll. (Mit Nigel Fletcher sprach Denis Dilba - DER STANDARD PRINTAUSGABE 2.1. 2008)