Gerhard Bocek verzichtet auf Hauben und Cuisine, sein Lokal gehört dennoch zu den bekanntesten des Landes.

Foto: DER STANDARD/ Urban
Deutsch-Wagram – Andere Menschen antworten auf die Frage, was sie treibt, oft mit Martin Luther King: "I have a dream." Aber Gerhard Bocek ist eben nicht "andere Menschen". Und statt zu träumen, machte er seine Hausaufgaben. "In der Schule", erzählt der heute 66-Jährige, "sollte ich schreiben, was ich einmal werden will. Mein Aufsatz hieß: 'Ich will das ausgefallenste Lokal der Welt führen'. Daran arbeite ich heute noch."

Nach diesem Satz lacht Gerhard Bocek jenes Bühnenlachen, mit dem er fast jeden Satz beendet. Dann zeigt er mit großer Geste in die Runde: "Willkommen im Marchfelderhof", sagt diese Bewegung. "Willkommen an einem Ort, an dem von allem zu viel da ist. Und noch ein bisserl mehr. Schauen Sie sich um.“

Kameraleute und Fotografen mögen solche Lacher, solche Gesten und derart übervolle Orte. Der Himmel hängt hier nicht nur voller Geigen, sondern auch voller Gitarren, Trommeln und Trompeten. Die Wände zieren nicht ein paar Bildchen – sie bestehen praktisch aus Promi-Anwesenheitsbeweisen.

Am (Herren-) Klo steht nicht ein, sondern vier Haarsprays. Und wenn man Schnitzel bestellt, kommt ein Spieß mit sieben Variationen. "Ja", lacht Gerhard Bocek, "ich will meine Gäste überwältigen. Sie sollen aus dem Schauen und Staunen nicht herauskommen."

Im Sog der Adabeis

Heute klingt das fast simpel. Schließlich ist der Marchfelderhof heute eine Marke. Das 300-Plätze-Lokal ist eines der bekanntesten Restaurants Österreichs – obwohl nie über die Küche gesprochen wird: Den Marchfelderhof kennt man trotzdem. Wegen der Gäste. Die bringen die "Seitenblicke" – und denen folgt das zahlende Volk. Pro Jahr, lacht Bocek "habe ich 100.000 Gäste – das sollen mir die behaubten Kollegen einmal nachmachen."

Freilich hätte sich Bocek selbst nie träumen lassen, dass Society-Berichte so gut funktionieren. Schließlich übernahm er 1969 von seinem Vater den "Bocek" – ein solides, seit 1843 funktionierendes Gasthaus am Land. "Mein Vater klagte immer, dass wir 17 Kilometer vom Stephansplatz weg sind – da käme doch keiner aus der Stadt zu uns." Der Junior formulierte positiv um: "Vier Kilometer vor der Stadtgrenze", änderte den Namen "damit man weiß, wo wir sind"– und schaltete "schon 1958 um mein Taschengeld Inserate mit 'Erzherzog Karl Platte' und 'Napoleonbraten'".

Als dann prompt Gäste aus der Stadt kamen und diese Köstlichkeiten orderten, "wurde ich in die Küche gerufen. Die Köche wussten nicht, was sie kochen sollten. Ich musste mir also was einfallen lassen."

Seit damals fällt Bocek immer etwas ein. Und noch etwas. Und noch etwas. Als er begann, das Gasthaus mit rustikalem Zeug und kakanischem Tand zu überfüllen, gab es die Vokabel "Eventgastronomie" noch nicht. Und dass der Verzicht auf jede Nähe zu Hauben und Cuisine ein Asset sein kann, irritiert auch heute noch: "Wer Hauben hat, kann sie verlieren. Und viele Leute haben Angst vor Haubenlokalen. Vor der Etikette und vor den Preisen", sagt Bocek – und lacht.

Doch hinter dem G’schichteldrucker ("Das dort war der Lieblingsplatz vom Falco") steckt auch ein nüchterner Rechner ("Der Gast gibt durchschnittlich 32 Euro aus"), der weiß, was funktioniert: "Wenn die Jeannine Schiller kommt, kommen fünf TV-Teams. Und ein achtelseitiges Inserat im Bezirksblatt kostet mehr als vier Promi-Feste. Das ist eigentlich eine ganz einfache Kalkulation."

Dass die aufgeht, beweist der Alltag. Obwohl Bocek heute nicht mehr quantifizieren kann, wie wertvoll Adabei-Präsenz ist. "Welche Geschichte wie viel bringt, kann ich nicht mehr sagen. Aber der Anfang hat mich überzeugt: Früher waren am Montag drei Tische besetzt. Die erste Seitenblicke-Story kam an einem Sonntag. Am Tag darauf waren wir bummvoll." Der Fotograf nickt beeindruckt und greift zur Kamera. Gerhard Bocek reagiert sofort – und lacht sein typisches Lachen. (Thomas Rottenberg/ DER STANDARD, Printausgabe, 2. Jänner 2008)