Taipeh - Der taiwanesische Staatspräsident Chen Shui-bian hat der chinesischen Führung einen Friedensvertrag ohne Vorbedingungen angeboten und zugleich die Eigenständigkeit der Insel betont. Eine Verständigung sei allerdings unmöglich, solange Peking am sogenannten Ein-China-Prinzip festhalte, sagte Chen am Dienstag in seiner Neujahrsbotschaft. Gleichzeitig verteidigte er seinen von der Opposition bekämpften Plan, ein Referendum über den Anspruch Taiwans auf UNO-Mitgliedschaft abhalten zu lassen.

Die chinesische Führung wirft Chen vor, die staatsrechtliche Loslösung Taiwans von China anzustreben. Der chinesische Volkskongress hatte ein "Antisezessionsgesetz" verabschiedet, das den Einsatz militärischer Gewalt gegen die Insel für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung ermöglicht. Die USA hatten mit dem "Taiwan Relations Act" von 1979 vertraglich garantiert, der Insel im Fall eines Angriffs zu Hilfe zu kommen.

UNO-sitz

Nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten 1949 war die nationalchinesische Regierung auf die Insel Taiwan geflüchtet. Sie hatte bis 1971 den chinesischen UNO-Sitz sowie einen der fünf Ständigen Sitze im Weltsicherheitsrat inne. 1971 wurde die Regierung in Peking von der UNO als alleinige rechtmäßige Regierung von ganz China anerkannt; damit wurde ihr der chinesische UNO-Sitz zugesprochen.

Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao hatte Taiwan in seiner Rede zum Nationalfeiertag der Volksrepublik (1. Oktober) aufgefordert, keine formelle Unabhängigkeit anzustreben. Man wolle mit den "taiwanesischen Landsleuten" zusammenarbeiten, um eine friedliche Wiedervereinigung Chinas zu erreichen, sagte Wen.

Taiwan sieht sich in seinem Eigenständigkeitsanspruch bestätigt, nachdem Peking der Bevölkerung der früheren britischen Kronkolonie Hongkong bis frühestens 2020 ein formaldemokratisches Regierungssystem verweigert. Hongkong war 1997 an China zurückgegeben worden und wird nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" quasi autonom als Sonderregion der Volksrepublik verwaltet. Die Formel stammt vom verstorbenen kommunistischen Staatsoberhaupt Marschall Ye Jianying und war von der taiwanesischen Regierung als "Schwindel" abgelehnt worden. Taiwan hat das Modell mit Hinweis auf die fehlende Demokratie in dem von Peking gleichgeschalteten Sonderverwaltungsgebiet verworfen. (APA)