Pakistans gewaltsame Geschichte ist um eine Episode reicher: Der Mordanschlag auf die populäre Oppositionsführerin Benazir Bhutto schreibt die Serie gescheiterter demokratischer Machtwechsel in dem südasiatischen Land fort. Bhuttos Tod aber, knapp zwei Wochen vor den harterkämpften Parlamentswahlen, wird besonders verheerende Folgen haben. Die frühere Regierungschefin starb zu einem Zeitpunkt, an dem ihr Land aus einer Monate währenden Regimekrise treten sollte. Pakistan steht jetzt in der schwersten Krise seit 9/11: Der Terrorismus hat einen Sieg davongetragen.

Bhuttos Ermordung, von den Islamisten in Pakistan mehrfach angedroht, ist ein Menetekel, wie es der Anschlag auf Ahmed Massoud, den Führer der Anti-Taliban-Allianz im benachbarten Afghanistan im September 2001 war: die Ankündigung einer neuen Ära des Terrors. Pakistan, das Schlüsselland im weltweiten Kampf gegen das Netzwerk Al-Kaida und dessen Sympathisanten, hat seine Symbolgestalt einer säkularen demokratischen Gesellschaft verloren.

Bedeutungslose Wahlen

Die für den 8. Jänner geplanten Wahlen sind nun erst einmal bedeutungslos geworden. Pervez Musharraf, der Präsident und frühere Armeechef, der sich über Recht und Gesetz hinwegsetzte, um sich an der Macht zu halten, hat mit Benazir Bhutto sein politisches Gegengewicht verloren. Das muslimische Land mit seinen 164 Millionen Einwohnern ist in einem entscheidenden Moment einer politischen Alternative beraubt worden. Musharraf sieht nun wieder seine wahren Gegner: Pakistans Extremisten, die selbst schon mehrfach versucht hatten, ihn umzubringen.

Dass Musharraf den Ausnahmezustand, mit dem er im November seine Wiederwahl zum Staatschef sicherte, eben auch mit der Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch die Islamisten begründet hatte, wirkt nun besonders zynisch. Ein Teil der Verantwortung für Bhuttos Ermordung ist wohl auch der Regierung anzulasten, die der Oppositionsführerin nicht ausreichend Schutz gewährte. Schon der verheerende Anschlag bei Bhuttos Triumphzug durch Karatschi nach ihrer Rückkehr aus dem Exil am 18. Oktober zeigte, wie wenig ernst Versicherungen der Regierung zu nehmen sind – und wie machtlos sie mitunter dem Terror im eigenen Land gegenübersteht.

"Märtyrerin

Wie ihr Vater Zulfikar wird Benazir Bhutto nun als „Märtyrerin“ in das politische Bewusstsein ihres Landes eingehen. Der Bhutto-Clan, der in Wahrheit nie so demokratisch war, wie er den Pakistanern und dem westlichen Ausland Glauben machen wollte, ist am Ende an jenem fatalen Bündnis zwischen Militär und Islamisten gescheitert, das Mohammed Zia ul-Haq in den 1970er-Jahren eingeleitet hatte, als er sich vom Armeechef zum Diktator aufschwang.

Pervez Musharraf, der heute amtierende Staatspräsident, der seinen Posten als Armeechef gerade erst abgegeben hatte, brach nur halbherzig mit diesem Bündnis. Die muslimischen Extremisten im Kaschmir konnten unter seiner Ägide fortbestehen; vor allem Musharrafs Taktik, die demokratisch gewählten Premiers Bhutto und Nawaz Sharif aus dem Land zu treiben und eine Allianz mit dem politischen Islamismus einzugehen, sicherten dem Fundamentalismus in Pakistan Nischen.

Neuer Auftrieb für Extremismus

Mit der Ermordung von Benazir Bhutto erhält der Extremismus in Pakistan und in der Region ohne Zweifel neuen Auftrieb: Die Hassfigur der Radikalen ist tot. Die Frage ist, wie das Land nun diesen Schlag überlebt.

Das Scheitern des demokratischen Übergangs, die neue Krise im Land, wird Musharrafs eigene Position nur vorübergehend stabilisieren. Bhuttos Pakistan People’s Party, die größte Oppositionsbewegung, muss einen neuen Kandidaten finden, der nach der Wahl für das Amt des Regierungschefs zur Verfügung stünde. Nawaz Sharif, Bhuttos Rivale und ein erbitterter Gegner Musharrafs, wird wohl Aufwind bekommen. Doch das Problem des Terrorismus lösen diese politischen Schiebereien nicht. (Markus Bernath, DER STANDARD, Printausgabe 28.12.2007)