Ihre Geschichte und ihren Status haben die Gangster auf den Körper tätowiert. Nicolai (Viggo Mortensen, re.) ist der Chauffeur des Mafia-Kronprinzen Kirill (Vincent Cassel).

Foto: Tobis

Das des (russisch) organisierten Verbrechens – eine Parallelwelt mit ganz eigenen Codes.

Wien – Das Gute und das Böse sind manchmal nur sehr schwer voneinander zu unterscheiden. MeisterregisseurDavid Cronenberg hat in seinem letzten Filmen eine subtile Freude an solchen Ambivalenzen entwickelt. In "A History of Violence" (2005) wird ein amerikanischer Familienvater, dessen Leben wie eine Werbung für eine Mittelklasseexistenz verläuft, von seiner gewaltsamen Vergangenheit eingeholt. Das Morden hat er nur verdrängt, sein Körper hat es nie vergessen. Viggo Mortensen spielte diese Figur, die eigentlich in zwei Welten zuhause ist und sich schmerzvoll erinnern muss.

In "Eastern Promises", der wie sein Vorgänger auf den ersten Blick dem Thrillergenre angehört, nimmt Mortensen erneut die Stelle eines zerrissenen Subjekts ein: Nikolai, die zentrale Figur, ist Chauffeur von Kirill (Vincent Cassel), dem einzigen (und wenig talentierten) Spross des Gangsterbosses Semyon (Armin Müller-Stahl). Setting und Milieu sind russisch, aber beides liegt hier mitten in London. Die geheime Bruderschaft der "vory v zakone", dieser fremde Mikrokosmos mitten in der westlichen Welt, ist ein typisches Cronenberg-Sujet: Mit fasziniertem Blick werden Codes, Rituale und Gewaltformen dieser Parallelgesellschaft erforscht und ausgebreitet.

"Eastern Promises" erzählt allerdings nur indirekt von den Vorgängen einer kriminellen Organisation. Der eigentliche Motor der Erzählung ist das Streben einer jungen Hebamme. Anna (Naomi Watts) will die Identität eines Babys klären, dessen Mutter bei der Geburt gestorben ist. Deren Tagebuch führt sie zu Semyons transsibirischem Restaurant, einer plüschigen Höhle voller Russlandklischees. Anna erhält dort von Semyon laufend Aufforderungen, ihre Recherche zu beenden, folgt aber hartnäckig weiter ihrer Spur. Es liegt an Nikolai, sie vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Geschichte der Tattoos

Der melodramatische Plot, der sich aus der Konfrontation dieser gewöhnlichen Frau mit einer ihr so konträren Welt erstellt, könnte aus einem Dreigroschenroman sein, aber Cronenbergs stilistische Meisterschaft gibt dem Geschehen eine unergründliche Dimension, indem er Kräfte auslotet, die unter der Oberfläche lodern. Einerseits liegt es an der psychologischen und ausstatterischen Genauigkeit, mit der er seine Figuren entwirft. Tattoos zeigen die Geschichte der Gangster und ihren Status innerhalb der Organisation an, auch Nikolais Aufstieg in die Bruderschaft manifestiert sich auf diesem Weg.

Andererseits wird gerade an dem engelhaften Chauffeur, der zwischen den beiden Welten des Films vermittelt, deutlich, dass das Sichtbare nie die ganze Wahrheit erzählt. Maskuline Posen verbergen in "Eastern Promises" beim einen eine Schwäche für das eigene Geschlecht, wogegen der andere aus seinem Herzen eine Mördergrube macht. Nicht einmal Anna erscheint als herzensgute Frau ganz transparent.

Mitunter überhöht Cronenberg das Geschehen gar zum Spiel mit Archetypen, oder die hyperreale Künstlichkeit, mit der diese kriminelle Unterwelt ausgemalt wird, entwickelt komischen Drive, weil sie schon nahe an die Überzeichnung gerät. Die sparsame Ökonomie, mit der Cronenbergs Regie mittlerweile auskommt, ist ein weiterer bewundernswerter Aspekt des Films. Die Szenen sind unaufwändig komponiert und von geradezu abstrakter Klarheit. Leistet sich Cronenberg eine inszenatorisch komplexere Sequenz, wie eine Messerstecherei im Hamam, dann wird daraus gleich eine Szene für die Ewigkeit. Wie Nikolai nackt minutenlang gegen gleich mehrere Gegner und ihre krummen Messer kämpft, das gehört zu den eindringlichsten Momenten des ausgehenden Kinojahres: Es ist die Verletzlichkeit eines kampferprobten Helden, dessen Stärke auch seine Verlorenheit signalisiert. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.12.2007)