Moskau – Vor genau 70 Jahren begannen in der Sowjetunion die stalinistischen Massenerschießungen, denen etwa 700.000 Menschen zum Opfer fielen. Am Ende des heurigen Gedenkjahres nun hat das russische Bildungsministerium unter die 1104 neuen Schullehrbücher auch jenes aufgenommen, das gegen eine undifferenzierte Verteufelung der Stalin-Ära anschreibt. Das Handbuch zur „Geschichte Russlands 1945-2007“, verfasst von Alexander Filippow und Pawel Danilin, geht in einer Auflage von 1000 Stück zur Testphase in Provinzschulen. Nach einem Jahr soll es approbiert und dann allen russischen Lehranstalten empfohlen werden.

Kritiker sprechen von einer eindeutigen Verherrlichung Stalins, wenn der Diktator etwa als einer der „fähigsten Führer der Sowjetunion“ bezeichnet wird. Danilin hingegen, ein Mitarbeiter des Kreml-Ideologen Gleb Pawlowski, wehrt sich gegen den Vorwurf, Stalin reinzuwaschen. Man habe lediglich differenziert und Stalin nicht auf allen Seiten gegeißelt. Geschichte sei auch ein Gegenstand patriotischen Stolzes.

Die Geschichtsaufarbeitung steht in Russland erst am Anfang. „Stalins Sieg über Hitler ist das Zentralereignis im nationalen Bewusstsein“, sagt Lew Gudkow vom Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum zum_Standard: Die Erinnerung an den ungeheuerlichen Preis dieses Sieges nämlich – 27 Millionen Tote– sei in das Unterbewusstsein ab_geschoben worden.

Bei einem Treffen mit Lehrern im heurigen Sommer meinte Präsident Wladimir Putin, Russland solle 1937 nicht vergessen, sich aber keine Schuldgefühle einreden lassen. (sed/DER STANDARD, Printausgabe, 27.12.2007)