Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Zwölf Jahre danach, am 11. September 2001, wurden die Türme des World Trade Centers zerstört. Am 9. November sollten die „seligen 90er-Jahre“ beginnen, Francis Fukuyamas Traum vom „Ende der Geschichte“. Man wollte eine globale liberale Weltgemeinschaft schon am Horizont dämmern sehen. Als Kontrastprogramm ist 9/11 das Hauptsymbol für das Ende der seligen 90er-Jahre. Das große Thema heute sind die Grenzen, die den Verkehr der globalen Gemeinschaft kontrollieren, neue Mauern entstehen überall, zwischen Israel und der West Bank, rund um die EU, an der amerikanisch-mexikanischen Grenze.

Innere Grenzen

Im Gegensatz zu den Grenzziehungen des Kalten Kriegs ist die wichtigste Grenze heutzutage eine innere. Das Anwachsen der Slums in den letzten Jahrzehnten von Mexiko-Stadt und anderen lateinamerikanischen Hauptstädten bis Afrika (Lagos, Tschad), bis Indien, China, den Philippinen und Indonesien ist das kritische geopolitische Moment unserer Zeit. Die Slum-Bewohner sind das eigentliche Symptom von Vorgängen, die mit „Entwicklung“, „Modernisierung“ und „Weltmarkt“ beschlagwortet werden.

Sie sind kein Missgeschick, sondern ein unausweichliches Ergebnis der inneren Logik des globalen Kapitalismus. Sie werden definiert durch ihre Nichtintegration in den Rahmen der bürgerlichen Existenz. Der Slum-Bewohner ist der „lebende Tote“ des globalen Kapitalismus. Während unsere Gesellschaft oft als eine Gesellschaft der totalen Kontrolle charakterisiert wird, sind Slums die Gebiete innerhalb von Staatsgrenzen, aus denen sich der Staat (zumindest teilweise) zurückgezogen hat. Gebiete wie weiße, leere Flecken auf der Landkarte. Obwohl sie de facto in den Staat durch die Verknüpfung mit dem Schwarzmarkt, dem organisierten Verbrechen undreligiösen Gruppen integriert sind, ist die staatliche Kontrolle ausgesetzt.

Lernen, die Ausgegrenzten zu sehen

Auf der Karte von Berlin aus der Zeit der ehemaligen DDR war das Gebiet von Westberlin leer, ein seltsames Loch im komplexen Geflecht der großen Stadt. Als Christa Wolf mit ihrer kleinen Tochter vom Ostberliner Funkturm, von wo aus man einen guten Blick aufs verbotene Westberlin hatte, über die Stadt sah, rief die Kleine: „Schau Mama, es ist gar nicht weiß da drüben, da sind Häuser mit Menschen wie hier!“ – als ob sie einen verbotenen Slum entdeckt hätte ... Wenn wir nicht lernen, die Ausgegrenzten zu sehen, werden die brennenden Autos von Paris überall sein. (Slavoj Žižek, DER STANDARD, Printausgabe 21.12.2007; Übersetzung: Bettina Stimeder)