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Objekt der Begierde: der ehemalige ungarische Staatskonzern Mol. Dieser wehrt sich heftig gegen alle OMV-Avancen.

Foto: APa/Beliczay
Budapest – Österreich möchte sie haben, Ungarn will sie nicht hergeben – das ist das Fazit der Story, in der die Perle der österreichischen Ölindustrie, die OMV, ihre Konkurrentin, die ungarische Mol, seit Juni mit Heiratsanträgen bombardiert. Woher die Gier, und warum die rigide Ablehnung? Die Erklärungen der vergangenen Monate ergeben bis jetzt kein Ganzes. Inzwischen ist die Situation zu einer Art Stellungskrieg erstarrt, der sich auf die politischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nur deswegen nicht auswirkte, weil die Regierungen in einer gemeinsamen Sitzung Ende November darüber einen Deckel stülpten. Die 1991 aus der sozialistischen Ölindustrie hervorgegangene Mol wurde vom Staat ab 1995 in mehreren Schritten veräußert. Über den Verkauf der Pakete wurde stets unter roten Regierungen, gegen die Proteste der rechten Opposition entschieden. Die privatisierungsfreundliche Wirtschaftspolitik wurde in Ungarn durch die Linke vertreten; die Rechte vertritt eher den Geist eines gemäßigten Fortschritts.

Veräußerung in einem Zug

Man veräußerte einen Großteil der Energieindustrie, fast in einem Zug, an "Brancheninterne". Für Mol durften nur Finanzinvestoren über die Börse bieten. So genießen die Mitglieder des Vorstands große Freiheiten. Der ungarische Staat kann also Einfluss auf sein ehemaliges Unternehmen ausüben, auch wenn er keine Anteile mehr besitzt. Jedenfalls brachten die vergangenen 16 Jahre für Mol durchschlagenden Erfolg: Die Vorstände, ob nun im Parteiauftrag oder nicht, haben sich bewährt. So ist aus Ungarns größtem Unternehmen eine moderne, restlos privatisierte, für internationale Firmenübernahmen geeignete Gruppe entstanden. Ihr jetziger Chef, Zsolt Hernádi, kam während der rechten Fidesz-Regierung 1998–2002 zu seinem Posten; aus dem Hintergrund wird das Geschick des Konzerns von Ungarns reichstem Bürger, dem OTP-Boss Sándor Csányi, gelenkt. Auch wenn beide rechts gesinnt sind, konnten sie auch den richtigen Ton mit der sozialliberalen Koalition finden. Die OMV signalisierte schon 2000 ihr Interesse an Mol, als sie einen neunprozentigen Anteil an der Börse erwarb. Damals hieß es, eine Übernahme werde nicht angestrebt. Die Reaktionen von Mol erinnerten bereits an die heutigen. 2002 erwarb die österreichische Konkurrentin weitere vier Prozent und erreichte damit die Höchstgrenze an Stimmen, die in der Satzung festgelegt ist, nämlich zehn Prozent. Die Beziehungen zwischen den beiden Unternehmen blieben kühl.

Goldene Aktie

Größere Veränderung brachte erst jener unter dem Druck von Brüssel gefasste ungarische Beschluss, wonach jene "goldenen" Aktien, die dem Staat besondere Rechte in den privatisierten strategischen Unternehmen sicherten, veräußert werden müssen. Dass hier Schwierigkeiten entstehen könnten, dürfte die ungarische Regierung geahnt haben. Also behielt der Staat bei Mol informell auch nach der Aufhebung der Höchstgrenze von zehn Prozent sein Vetorecht. Warum die OMV im Juni einen zusätzlichen Anteil von ausgerechnet 8,6 Prozent erwarb, warum sie dies im Aktienregister nicht eintragen ließ, warum sie Übernahmeabsichten öffentlich machte, warum sie nicht in diesem Geist handelte, und warum sie dennoch auf ihrem ursprünglichen Standpunkt bestehen bleibt, ist allen Erklärungen zum Trotz bis heute unklar. Ebenso wenig verständlich ist, warum all das Mol und die bis jetzt investorenfreundliche Regierung zu heftigen Immunreaktionen verleitete.

Flinke Verteidigung

Der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány trat sofort für administrativen Schutz ein: "Mol werden wir schon verteidigen" – so stärkte er den öffentlichen Glauben, wonach der Staat noch Eigentumsrechte haben würde. Er versprach, nötigenfalls ein Gesetz zu schaffen. Dieses hat sogleich den Spottnamen "Lex Mol" erhalten. Will man die Motive der ungarischen Regierung über die "Verteidigung von Mol" hinaus gehend verstehen, kann man sich an der von beiden Seiten bestätigten Tatsache orientieren, dass die OMV es versäumt hatte, vor Juni mit dem ungarischen Management irgendeine Absprache zu halten. Nun könnte man naiv fragen: Warum auch sollte jemand in einem offenen Kapitalmarkt über die Übernahme eines kleinen Privatunternehmens Absprachen halten? Doch vor einer Aktion zur Übernahme des größten, strategischen Unternehmens im Nachbarland wäre es vielleicht trotzdem angebracht gewesen – selbst wenn die Vorschriften gegen den Insiderhandel wenig Bewegungsfreiheit übrig lassen.

Der Standpunkt der ungarischen Seite ließe sich auch böswillig dechiffrieren: Demnach würde die politische Elite im Interesse der "Oligarchen" Csányi und Hernádi "der ungarischen Wirtschaft einen schweren Schlag verpassen". Aber auch die Äußerungen von der OMV lassen sich unterschiedlich interpretieren. Gutgläubig kann man in ihr die Naivität entdecken, dass sie, im Mangel von Hintergrundzusagen, einfach in die freie Bewegung des Kapitals vertrauend, einen auffälligen, aber noch abzuwehrenden Angriff startet. OMV-Vorstandschef Wolfgang Ruttenstorfer hat womöglich recht, wenn er behauptet, er hätte sich erst nach dem Scheitern geheimer Verhandlungen an die Öffentlichkeit gewandt. Nur konnte sie bei den Widersprüchen zwischen ihren Taten und Worten kaum anderes erwarten.

Verschwörungstheorien

Geht man misstrauischer an die Sache heran, zeichnet sich hinter den scheinbar unlogischen Schritten der OMV ein Plan zur Schwächung der Mol ab. Und in Ungarn wird in diesem Zusammenhang immer wieder der russische Staatskonzern Gasprom als Anstifter genannt, der enge Beziehungen zur OMV hat. Ob nun die Aktion gelingt oder nicht: Die russischen Energieunternehmen werden ohnehin profitieren. Wird Mol nachgeben, können die Russen, etwa die Kreml-treue Lukoil, aus dem Ankauf der Raffinerieanteile (die aus Wettbewerbsgründen billig veräußert werden müssen) oder von Tankstellen Nutzen ziehen. Und wenn die OMV das Thema weiterhin an der Tagesordnung hält, wird Mol viel Energie für den Verteidigungskampf aufwenden müssen. Dadurch wird sie im harten Wettbewerb geschwächt. Alle Verschwörungstheorien werden von der OMV dementiert. Es ist übrigens sinnlos, seriösen Argumenten Aufmerksamkeit zu schenken. Sie sind äußerst vage. Die OMV als die Initiatorin des Angriffs behauptet, man müsse fusionieren, da die Welt in diese Richtung gehe. Mol jedoch sieht die Welt anders, ihrer Ansicht nach würde sie zusammen mit der OMV nur schwächer. Denn die OMV sei, so argumentiert Mol und zitiert dabei beliebige Mengen von Zahlen, uneffektiver. Als Erklärung dafür dient die auch von den ungarischen Politikern übernommene Phrase, OMV sei im Gegensatz zu Mol zum Teil in staatlichem Besitz. Die OMV argumentiert mit anderen Zahlen für die Fusion. Alle Argumente wurden bis zuletzt mantraartig heruntergeleiert. Einsichten: null. Beide Seiten bringen weiters unterschiedliche Darstellungen darüber, welche Vermögensteile veräußert werden müssten, damit Brüssel sein OK zum Deal geben könnte. Die EU-Kommission nahm die "Lex Mol", sehr zur Freude der Österreicher, blitzschnell unter die Lupe, weil es Beschränkungen der Bewegung des Kapitals vermutete.

Schnelle Strafe

Die Kommunikation der österreichischen Gesellschaft in Ungarn ist nicht weniger konfus. Einmal lancierte sie eine Art Übernahmeangebot, dem einige Aktionäre auch aufgesessen sind, und so blieb auch die umgehende Strafe der ungarischen Finanzaufsichtsbehörde nicht aus. Die Werbekampagne von der OMV wurde von der ungarischen Aufsicht ebenfalls als unfair beurteilt, sodass die OMV heute im Rahmen ihrer Werbung mit Musik (beim ungarischen Publikum recht beliebt) nur noch allgemein zum "Gespräch" und zum Besuch der Webseite einlädt. Währenddessen kam Mol ausgerechnet jetzt darauf, dass sie zu viel Geld in der Kasse hat, sodass sie an die zwei Milliarden Euro ausgab, um 40 Prozent ihrer eigenen Aktien zu erwerben. Das richtete sich natürlich keineswegs gegen die OMV, nein, man wollte dadurch den Dividendenhunger der Aktionäre stillen. Dass ein Unternehmen nach ungarischem Gesetz nur zehn Prozent der eigenen Aktien besitzen darf? Kein Problem! Im Sinne eines winzigen, bis dahin völlig unbeachteten Paragraphen wurden die Aktien "ausgeliehen", unter anderem einem Offshore-Unternehmen, einer internationalen Bank sowie neuerlich der OTP-Bank und Unternehmen des ungarischen Staates. Dass sie mit Mol irgend etwas zu tun hätten? Wer könnte das schon, solange eine Vereinbarung über die gemeinsame Abstimmung fehlt, nachweisen? Tatsächlich hat sich die Finanzaufsicht im August an diese "Pflichtaufgabe" gemacht. Nach etwa dreimonatigen "Geburtswehen" wurde die Mol wegen einer Art von Insiderhandel mit einer Geldstrafe belegt. Auf den Aufkauf eigener Aktien ist die Behörde gar nicht eingegangen.

Modellhafter Streit

In der OMV-Mol-Affäre sind zudem zahlreiche "unabhängige" Analysten bemüht, die Arbeit der Berichterstatter zu "unterstützen", oft eindeutig im Interesse der einen oder anderen Seite. Die wirklich unabhängige internationale Presse ist ebenfalls auf das Thema aufmerksam geworden, und zwar weniger durch die Größe der beiden Unternehmen als vielmehr durch die Modellhaftigkeit des Streites. Im Feuerwerk der Pros und Kontras wird noch bemerkt, den Mol-Leuten gefalle einfach der herablassende Ton der OMVler nicht. Dagegen ist schwer zu argumentieren. Nun kontert die OMV als Mol-Aktionärin, indem sie den Stil des Managements kritisiert. Kurz, die beiden Seiten haben weder wirkliche Argumente noch lebensnahe Äußerungen. Dennoch werden von beiden Seiten unermüdlich die Bluffs nachgeliefert, die wie Nachrichten aussehen und wie Marketing riechen. Auf dieser Schiene könnten die beiden noch zueinander finden, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Wenngleich Ungarn sowohl gesetzlich als auch durch den Aktienkauf eine Barriere vor den Übernahmeabsichten der OMV errichtete, will die österreichische Gesellschaft – ihre alten Argumente hartnäckig wiederholend – nach wie vor ihr Netz um Mol spinnen. Ihre angeblich freundliche Annäherung ist nicht immer besonders höflich: Derzeit will sie die unabhängigen Mol-Großaktionäre Konzerns weich bekommen. Gleichzeitig droht man mit Klagen. Aus der merkwürdigen Situation scheint kein Weg hinauszuführen. In der Realität könnte sich zwar die Fusion vollziehen, aber nur in einer Art und Weise, die nicht abzusehen ist. Die Donau, der uralte Verbindungsweg zwischen den Hauptstädten, muss noch viel Wasser transportieren, bis die beiden Unternehmen zueinander finden. Und bis dahin wird noch viel Öl und Gas gewonnen, raffiniert, transportiert und verkauft werden. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 21.12.2007)