New Jersey hat die Todesstrafe gerade abgeschafft, in den ganzen USA liegt sie bis zu einer Entscheidung des Supreme Court de facto auf Eis. Die EU hat den 10. Oktober jüngst zum „Tag gegen die Todesstrafe“ erklärt. Die UN-Generalversammlung wollte noch am Dienstag über eine Resolution abstimmen: Langfristig sollen alle Staaten diese Strafe abschaffen. Der Menschenrechtsausschuss hat den Vorschlag schon unterstützt. Die Debatte um die härteste aller Strafen hat an Dynamik gewonnen, auf drei unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig.

In den USA fällt die Diskussion in eine Zeit, in der die Öffentlichkeit zunehmend mit Gewalt konfrontiert ist. Terroranschläge haben der Gesellschaft ihre Verwundbarkeit vor Augen geführt. Täglich sterben US-Soldaten im Irak in einem Kampf, der auch einstigen Befürwortern heute sinnlos erscheint. Und die Folter-Bilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib, die Käfige von Guantánamo, die Schilderungen von brutalen Verhörmethoden im Antiterror-Kampf haben die grundsätzliche Frage aufgeworfen: Wie gewalttätig darf unser Staat sein?

My Lai – Abu Ghraib

Zweifelt die Nation, wankt auch das Bekenntnis zur Todesstrafe. Nicht zu Unrecht sind Parallelen zum Vietnamkrieg gezogen worden. Auch damals entpuppte sich der vermeintlich einfache Militäreinsatz als ein Krieg ohne Ende. Fernsehbilder zeigten die Brutalität des Kampfes. Das Massaker von My Lai 1968, bei dem über 500 Zivilisten ermordet wurden, schockierte die Öffentlichkeit ähnlich wie der Folterskandal in Abu Ghraib (beide aufgedeckt von US-Reporter Seymour Hersh). US-Präsident George W. Bush hat es zum unbeliebtesten Präsidenten seit dem damals regierenden Richard Nixon gebracht, den der Watergate-Skandal 1974 zu Fall brachte.

Kurz vor Kriegsende, 1972, erklärte der Supreme Court die Todesstrafe für verfassungswidrig. Das hielt bis 1976. 2008 wird das Gericht erneut darüber entscheiden.

Der wissenschaftliche Fortschritt hat in den USA heute Zweifel an der Todesstrafe aufkommen lassen. Fälle von unschuldig Verurteilten haben die Öffentlichkeit aufgerüttelt. DNA-Tests zeigten, dass Gefangene zu Unrecht hingerichtet wurden. Studien legten Fehlurteile offen. Seit 1973 wurden 126 Menschen aus dem Todestrakt entlassen, weil sie unschuldig waren rechnet der Leiter des Death Penalty Information Center in Washington, Richard Dieter, vor. Zuletzt Jonathon Hoffmann am 11. Dezember in North Carolina, der zweite in diesem Monat und dritte im Jahr.

Humane Spritze?

Vor dem Supreme Court dreht sich die Debatte nicht um die Abschaffung der Todesstrafe, sondern um die Frage: Wie human ist die Giftspritze? Der Court muss entscheiden, ob diese Hinrichtungsart eine „grausame und ungewöhnliche“ Bestrafung darstellt und damit verfassungswidrig ist.

Auch hier hat die Wissenschaft den Zweifel bewirkt: Obduktionen von Hingerichteten ergaben, dass oft nicht genug Betäubungsmittel gespritzt wurden. Einige Todeskandidaten erstickten bei vollem Bewusstsein. Der Erfinder der Giftspritze, Jay Chapman, hält selbst die Guillotine für human: „Der Person wird der Kopf abgeschnitten, und das ist das Ende.“

Der EU geht es dagegen um den alten Widerspruch zu grundlegenden Menschenrechten: Die Todesstrafe sei eine „absolut grausame Strafe, die das Recht auf Leben missachtet“, erklärte EU-Justizkommissar Franco Frattini. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) macht einen weltweiten Trend zur Abschaffung aus, abgesehen von den „Hardcore“-Staaten, wie ai-Österreich-Chef Heinz Patzelt Länder wie etwa die USA, China, den Iran, Pakistan und Saudi-Arabien nennt. Die Unterstützung für den UN-Resolutionsentwurf spiegelt den Trend wider. Pro Jahr schaffen Patzelt zufolge drei bis fünf Staaten die Todesstrafe ab, 2007 waren es Albanien, Ruanda und Kirgistan.

Davon sind die USA noch weit entfernt. Doch die Zahl der Exekutionen in diesem Jahr mit 41 ist die niedrigste seit 1994. Vor dem Supreme Court wird zwar nur ein Fall aus dem US-Bundesstaats Kentucky behandelt. Trotzdem könnte das Urteil auf eine Grundsatzentscheidung hinauslaufen, sagt Jürgen Martschukat, Professor für nordamerikanische Geschichte in Erfurt. Schließlich werde die Giftspritze in 35 der 36 US-Bundesstaaten angewendet, die hinrichten. „Wenn das Gericht das als verfassungswidrig ansieht – was wollen sie dann machen?“ (Julia Raabe/DER STANDARD, Printausgabe, 19.12.2007)