Als erstes westliches Land empfängt Frankreich Libyens Despoten Muammar al-Gaddafi nach seiner "Terrorphase" der Achtzigerjahre. Man solle s'il vous plaît nicht blauäugig sein, meinte Außenminister Bernard Kouchner; in der globalen Zeit kämpfe jeder Staat um Marktanteile. Das ist richtig: Es stimmt, der Westen handelt neuerdings wieder mit dem einstigen Terrorregime in Tripolis, das Zivilflugzeuge vom Himmel holte (Lockerbie 1988) und bulgarische Krankenschwestern acht Jahre folterte und in Geiselhaft hielt. Wenn sogar die USA mit Gaddafi - von Ronald Reagan einst als "der tollwütige Hund des Mittleren Ostens" genannt - handeln, bringt es nichts, abseits zu stehen. Mit dem alten Dilemma von Kommerz und Moral, Arbeitsplätzen und Menschenrechten muss auch Europa leben. Angela Merkel gibt vielleicht einen gangbaren Weg vor: Sie fördert die Handelsbeziehungen mit Peking, empfängt aber auch den tibetanischen Opponenten Dalai Lama.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der im Wahlkampf seinen Einsatz für die "Unterdrückten" versprochen hat, empfängt lieber einen völlig unberechenbaren Gewaltherrscher. Und dies fünf Tage lang, mit rotem Teppich und gut französischem Pomp. Er offeriert Gaddafi, was sogar Washington verweigert: internationale Achtbarkeit. Das fällt umso mehr auf, als Sarkozy zugleich den Dalai Lama abweist.

Nach seiner Wahl im Mai hatte Frankreichs Staatschef eine Beauftragte für Menschenrechte ernannt. Bei seinem jüngsten Besuch in Peking ließ er sie aber schlicht zu Hause. Bei Gaddafi platzte ihr nun der Kragen: Frankreich sei doch "nicht nur eine Handelsbilanz", schimpfte Rama Yade, bürgerliche Jungministerin senegalesischen Ursprungs, gegen ihre eigene Regierung. Dort denkt wenigstens noch jemand an den Ruf der französischen Menschenrechtsnation, den Sarkozy offenbar vergessen hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2007)