Er freut sich scheinbar nicht wirklich auf die EURO, der Österreicher an sich. Er kennt sich auch so ganz gut aus in der großen weiten Welt, die hat er sich oft genug im Fernsehen angeschaut. So viel g’scheit, hat er dann gesagt, sind sie da draußen, und so viel tolle Stimmung machen sie, und Fußball spielen können sie erst, die anderen. Immer nur die anderen.

Und bei uns, hat er gesagt, bei uns, das ist eine andere Welt. Nicht so g’scheit und nicht so toll, und der Fußball, mein Gott, reden wir doch lieber über etwas anderes. Aber dann hat er sich getröstet, der Österreicher an sich, weil viel zu essen hatte er ja und viele Fernsehkanäle. Er hat schon mitgekriegt, dass es da und dort ja auch mehr Wickel gibt als bei uns. So schlimm ist das mit der Bawag und dem Meinl und mit Familien, die das Innenministerium auseinanderreißt, dann auch wieder nicht. Und lieber nicht solche Wickel, wie man sie im Fernsehen sieht, hat er sich gedacht, und von mir aus halt auch nicht solchen Fußball. Damit muss man leben können.

Doch plötzlich hat diese große weite Welt an die Tür des Österreichers geklopft. Er hat aufgemacht, sie steht einen Spalt offen, nicht mehr, nicht weniger. Der Österreicher lugt durch den Spalt, und wieder sieht er da draußen die tolle Stimmung und den guten Fußball, die Stimmung und der Fußball kommen näher, kommen auf ihn zu. Aber der Österreicher an sich ist ja kein Trottel, er weiß, da draußen hat’s manchmal genau dort, wo der gute Fußball war, auch die Wickel gegeben. Und jetzt fragt er sich, soll er die Tür ganz aufreißen oder wieder ins Schloss werfen?

Dem Österreicher an sich ist das offizielle Österreich keine große Hilfe. Einerseits springt und tanzt und klatscht es, das offizielle Österreich, und es singt „Immer wieder, immer wieder, immer wieder Heim-EM“. Andererseits berichtet es auch regelmäßig von den gefährlichen Hooligans da draußen, es zieht die Schengen-Grenze wieder hoch, es verlangt ein Visum von diesem und von jenem EUROpäer, der doch nur zur EURO will.

Kein Wunder, dass sich der Österreicher an sich, der da vor seiner einen Spalt geöffneten Türe steht, nicht sicher ist, ob er sich das wirklich geben und antun soll. Was hab ich denn davon, fragt er sich. Und was hat mein Land davon? Soll ich der ersten Studie glauben, die von einer unfassbaren Wertschöpfung und einem gigantischen Werbewert für Österreich schwärmt, oder der anderen, laut der die EURO so gut wie keinen nachhaltigen Effekt haben wird?

Die Entscheidung nimmt ihm, dem Österreicher an sich, keiner ab. Öffnet er (sich) oder bunkert er (sich) ein? Recht geschult wäre er darin, sich nur auf den Fußball zu konzentrieren, das Drumherum einfach auszublenden. Der Fußball allein kann auch wirklich viel, nur im Fußball kommt es erstens so oft anders und zweitens, als man gedacht hat. Hoffnungen werden enttäuscht, Befürchtungen bewahrheiten sich nicht. Sieg statt Niederlage, Spannung statt Einseitigkeit, darüber können wenige Momente, kann ein einziger Spieler entscheiden. Wer ins Stadion geht oder vor dem Fernseher sitzt, weiß nicht, ob er die Karte für eine Komödie oder eine Tragödie, für einen Krimi oder einen Langweiler gelöst hat.

Doch auf den Fußball lässt sich die EURO nicht reduzieren. Sie ist eine der größten Partys weltweit, eine Party, die bis jetzt nur da draußen gefeiert wurde, und bald steigt diese Party hier drinnen.

Ob die Party nicht nur richtig groß ist, sondern auch richtig geil, wird sich erst weisen. Das Reden von einem 3:2-Sieg, der fast dreißig Jahre zurückliegt, und das Träumen von einer Córdoba-Neuauflage trägt vielleicht zur Geilheit bei. Natürlich werden Josef Hickersbergers Männer über ihre Schatten springen müssen, wollen sie bei der EURO gegen Deutschland und, zuvor noch, gegen Kroatien und Polen bestehen. Doch wie man zum Sprung ansetzt, kann ihnen der Österreicher an sich schon vorzeigen, wenn er die EURO als Chance und nicht als Bedrohung begreift. Die Türe halboffen lassen, das wird es nicht spielen im Juni 2008. (DER STANDARD, Printausgabe, Montag, 3. Dezember 2007)