Volkstheater-Doyenne Hilde Sochor kennt Flöttl senior, die Causa Bawag hält sie für ungeheuerlich. Glück ist für sie das Gegenteil von Unglück und kann auch in Gestalt des Bösen daherkommen.

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Warum der von der Bawag gestiftete Skraup-Theaterpreis so beliebt ist (es gibt ein Bawag-Sparbuch), erzählte sie Renate Graber.

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STANDARD: Schöne Orchideen haben Sie da. Eine Gratulation zu Ihrem Nestroy-Preis fürs Lebenswerk, den sie vorige Woche bekommen haben?

Sochor: Nein, die habe ich zur Premiere meiner Tour durch die Außenbezirke bekommen. War Mitte November, aber die Blumen sind noch schön.

STANDARD: Meine Kollegin hat den schönsten Garten überhaupt, schreibt auch über Pflanzen. Laut ihr kann man von allem wegkommen, von Alkohol, Nikotin, Frauen - aber nicht von Orchideen.

Sochor: Ach so? Manche blühen immer wieder. Schauen Sie, die hinter Ihnen, die kleine hübsche Violette, blüht immer im Winter, wärmt mich in der kalten Zeit.

STANDARD: Als ich Sie um das Interview bat, sagten Sie, Sie wollten nicht schon wieder über Ihr Leben reden. Also reden wir übers Geld, Künstler tun das nicht gern.

Sochor: Ich schon.

STANDARD: Fein. Sie müssten eigentlich viel haben. Sie feiern 2008 Ihr 60-jähriges Bühnenjubiläum, Ihr verstorbener Mann, Gustav Manker, war Volkstheater-Direktor ...

Sochor: Viel Geld? Was wir uns leisten konnten, waren drei Kinder und ein bisserl Personal, das wir aber auch gebraucht haben. Es musste jemand bei uns wohnen, weil sich bei unseren Berufen alles am Abend abgespielt hat.

STANDARD: Sie wollten damals die Kosten des Kindermädels von der Steuer absetzen, das geht noch nicht einmal heute.

Sochor: Ja, der Finanzbeamte hat mir damals gesagt, "Dann bleiben Sie halt daheim". Und ich habe gemeint, "Steuern von dem, was ich verdiene, wenn ich nicht daheim bin, nehmt's aber schon".

STANDARD: Reaktion?

Sochor: Keine. Zeigen Sie mir einen Finanzbeamten, der Witz hat, Geist oder Humor.

STANDARD: Ich kenne keinen Finanzbeamten. Sind Ihnen Geld und Vermögen wichtig?

Sochor: Ja, ich möcht nicht gern am Hungertuch nagen. Dieses romantische Bild vom hungernden Künstler, vom armen Poeten, das ist ja blöd. Ich war mein ganzes Leben lang angestellt, wobei ich kein Vermögen verdient habe, ich war ja kein Filmstar. Ich habe mit einer Eleven-Gage von 400 Schilling angefangen und mich langsam hinaufgespielt. Ich bin aber nicht typisch, weil ich mein ganzes Leben an einem einzigen Theater war, weil ich so gern mit meinem Mann gearbeitet habe.

STANDARD: Sie haben ja das Theater geheiratet.

Sochor: Nein. Das. Habe. Ich. Nicht. Und weil Sie gesagt haben, Künstler reden nicht so gern übers Geld: Über das der Theater reden sie schon, und zwar zu Recht, weil das gehört natürlich auch anders verteilt.

STANDARD: Sagte auch Regisseur Markus Kupferblum bei der Nestroy-Preis-Verleihung. Er hat dort mehr Geld fürs Off-Theater gefordert.

Sochor: Er hat das hervorragend gebracht. Die öffentliche Hand darf nicht auf dem Rücken der Begeisterung der Schauspieler sündigen.

STANDARD: Sie haben mir erzählt, dass Sie bei der Nestroy-Verleihung ausnahmsweise Lampenfieber gehabt hätten. Sonst nie? Ich kann mir das ja überhaupt nicht vorstellen.

Sochor: Ich habe wirklich fast nie Lampenfieber. Bei der Nestroy-Verleihung auch nur, weil ich nicht mit Stock auf die Bühne wollte, aber dort war mir ja mein Sohn Paulus Stütze, er hat mich begleitet. Wissen Sie, Theater ist ein Mysterium: Wenn man auf der Bühne steht, tut einem nichts mehr weh, plötzlich hat man kein Halsweh mehr, muss nicht mehr aufs Klo ...

STANDARD: Auf der Bühne hört sich alles Reale auf?

Sochor: Na ja, fast. Einmal hat es mich erwischt. Letzte Vorstellung, "Die Physiker", Volkstheater: Ich hatte eine Magenverstimmung, mir war furchtbar übel, am Abend ließ ich mir den Theaterarzt kommen: "Kamillentee", riet er mir. Aber auf den brech ich schon als G'sunde. Ich ging also auf die Bühne, auf einmal kam der Moment, da dachte ich: "Abgehen oder auf die Bühne speiben?" Ich habe mich zum Abgehen entschlossen und bin gerade noch zum Feuerwehrkübel gekommen. Am nächsten Tag hat eine Schauspielerin, die im Publikum war, zu ihrer Freundin gesagt: "Die Sochor ist gestern so g'hängt, dass sie abgehen musste."

STANDARD: Jetzt reden wir fast schon über Ihr Leben. Verfolgen Sie die Causa Bawag?

Sochor: Natürlich. Gerade als der Bawag-Skandal aufbrach, war im Volkstheater die Premiere der "Räuber". Da stand auf den Karten "Die Räuber. Gesponsert von der Bawag". Das war für mich der größte Witz. Ich finde das alles ungeheuerlich. Ich habe ja Flöttl senior gut gekannt, er war Bawag-Chef, als mein Mann Volkstheater-Direktor war. Und Flöttl hat den Karl-Skraup-Preis gestiftet, der sehr begehrt ist, weil mit Geld verbunden: Man bekam ein Bawag-Sparbuch. Wenn man überlegt, um welche Summen es da jetzt geht - und dann müssen die Schauspieler um eine Sozialversicherung betteln. Das ist furchtbar ungerecht, sind die Auswüchse des Kapitalismus. Und ich bin keine Kommunistin.

STANDARD: Weil Sie grade von Ihrem Sohn geredet haben: Einer seiner Freunde beschreibt ihn so: "Paulus muss man lieben, wenn man ihn nicht liebt, hasst er einen."

Sochor: An diesem Image arbeitet er.

STANDARD: Erfolgreich.

Sochor: Sehr. Wissen Sie, er war ein bildschönes Kind, die Leute haben sich umgedreht nach ihm und gesagt: "Schaut, was für einen schönen Sohn die Sochor hat." Er hat das gehasst. Wenn man ihn mit vier Jahren gefragt hat, "Was willst du werden?", hat er gesagt: "Mörder." Mit sechs wollte er Pensionist werden. Später hat er gemeint, er wird Zirkusdirektor und dressiert als solcher Tiere.

STANDARD: So kam es fast, er wurde Schauspieler und Regisseur, berüchtigt für seine strengen Umgangsformen. Die "Presse" nennt ihn "Spontan-Berserker". Was meinen Sie?

Sochor: Spontan-Berserker? Nein, neinneinnein. Dauer-Berserker.

STANDARD: Schön, das war er ja auch noch 1980, als er mit 22, in Franz Novotnys "Exit. Nur keine Panik"gespielt hat.

Sochor: Er war so schön. Aber das wollte er nicht, um nichts in der Welt wollt er schön sein. Er wollte auch nicht der Sohn vom Manker und der Sochor sein, drum ist er so früh nach Deutschland gegangen.

STANDARD: Sie selbst sind promovierte Theaterwissenschafterin und Germanistin ...

Sochor: ... ich bin die Sochor. Ein Ehrentitel, dem mir mein Publikum verliehen hat. Wissen Sie, Schauspieler haben an einem Theaterabend ja nur kurz Zeit, das Publikum zu gewinnen, wenn der Vorhang fällt, ist es vorbei; wir können nicht wie Dichter oder Komponisten auf posthumen Ruhm hoffen. Die Zuschauer wissen aber gar nicht, dass wir, wenn wir uns verbeugen, sie genauso kritisieren wie sie uns. Wenn's schlimm war, gibt es den Ausdruck: "Heute waren sie armlose, taubstumme Bulgaren". Sie glauben ja gar nicht, wie unterschiedlich Publikum sein kann. Bei der Tournee des Volkstheaters in den Außenbezirken merke ich das total. Ottakring: eine grau-enhafte Bühne, aber so was von einem Publikum, besonders gut und nett. Die Großfeldsiedlung: großartiges Publikum. Die Hietzinger: eine gewisse Arroganz. Tut mir leid, zumal ich ja selbst Hietzingerin bin, seit fast zwanzig Jahren.

STANDARD: Regietheater halten Sie für Selbstinszenierung der Regisseure, die Ansicht Friedrich Schillers, Theater sei eine "moralische Anstalt", goutieren Sie nur zum Teil. Was also ist Theater? Finden Sie nicht auch, dass es ein bisschen wehtun muss?

Sochor: Mir tut's weh, wenn die da oben schlecht sind. Was ist Theater? Brecht hat einmal gesagt: Alles darf Theater, nur nicht langweilen. Das finde ich auch, ohne dass man deswegen dem Publikum nachlaufen dürfte. Man muss das Publikum dazu bringen, dass es dem Theater nachläuft. Man muss ihm nicht mit dem nackten Popo ins Gesicht springen, aber man soll es Weinen und Lachen machen.

STANDARD: Sie haben einst mit Qualtinger gespielt, heutzutage treten Sie, in einem Zusammenschnitt von Texten des leider früh verstorbenen Grazers Werner Schwab, mit Stermann/Grissemann auf. Wie kamen Sie auf die zwei Zyniker?

Sochor: Man hat mich gefragt, davor habe ich kaum gewusst, was sie machen, und wie sie sind. Die Produktion war eine Gratwanderung, dünnes Eis, das genauso gut hätte einbrechen können. Aber es ging brillant auf - ich alte Kuh mit den zwei jungen Burschen. Ich habe Schwab zuerst nicht gemocht, mir hat gegraut vor all diesem Fäkalischen, aber dann habe ich seine Biografie studiert, seine Wortgewalt erkannt, heute liebe ich Schwab und seine Absurditäten.

STANDARD: Apropos Sprachgewalt: Ex-Volkstheater-Chefin Emmy Werner hat als Erste Elfriede Jelinek aufgeführt, Sie haben nie mitgespielt. Warum, um Himmelswillen?

Sochor: Muss ich ja jetzt nicht sagen. Mir sind ihre Bühnenwerke zu wenig dramatisch, ich komme da nicht durch. Ihre Romane kenne ich zu wenig, darum möchte ich sie nicht ganz verdammen. Ich tue mir aber auch bei Thomas Bernhard schwer, da leide ich, ich leide, leide, leide, wenn ein Satz über eine ganze Seite geht, ohne Punkt, ohne Beistrich, im Präsens beginnend, im Perfekt endend. Da muss man schon der Thomas Mann sein, wenn man das macht.

STANDARD: Sagt meine Kollegin auch immer, wenn sie meine Artikel gegenliest. Aber ich will doch noch einmal zu Ihnen kommen. Sie sagen ja, dass Sie sich für die Rolle von Königinnen nicht eignen. Warum eigentlich nicht? Wollten Sie nie ...

Sochor: ... die Eboli spielen? Die habe ich bei der Aufnahmsprüfung im Reinhardt-Seminar vorgesprochen ...

STANDARD: ... bei der Sie durchgefallen sind. Aber das war 1945, bei der ersten Aufnahmsprüfung nach dem Krieg. Ich wollte aber eruieren, wie Sie sich heute sehen. Die einen nennen Sie "waschechte Intellektuelle", andere "typische Volksschauspielerin", da liegen ja Welten dazwischen.

Sochor: Ich habe studiert, insofern bin ich eine Intellektuelle. Aber Intellekt ist ja nichts Schlimmes, auch nicht für einen Schauspieler. Wenn ich mit meinem Mann gearbeitet und auf der Bühne gesagt habe, "Schau, aber ich hab mir gedacht ...", dann sagte er: "Denk nicht, spiel!"

STANDARD: Das haben Sie sich gefallen lassen?

Sochor: Mein Gott, ich hab halt gespielt. Aber ich hasse dumme Schauspieler, ich hasse auch dumme Regisseure. Sie können schlecht sein, bös sein, machen, was sie wollen - wenn das, was sie machen, dumm ist, dann ist das für mich das Schrecklichste.

STANDARD: Bei der Nestroy-Preis-Verleihung haben Sie gesagt, das Wichtigste im Leben ist Glück. Was ist Glück?

Sochor: Sie haben seltsame Fragen. Glück, das ist das Gegenteil von Unglück. Ich bin sicher: Das Streben nach Glück ist dem Menschen angeboren, und damit meine ich nicht das rauschende Glück, sondern das Streben danach, mit uns selbst Harmonie zu erreichen. Das Glück kann in ganz unterschiedlichen Ausprägungen auftreten, auch im Bösen: Denn für den, der etwas Böses erreichen will, für den ist das die Harmonie, die für ihn stimmt. Ich habe halt in meinem Leben das Glück gehabt, Glück zu haben, mein Glück zu erkennen und zu genießen.

STANDARD: Sie sind natürlich eine exzellente Stichwort-Geberin. Also die letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Sochor: Ums Überleben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1./2.12.2007)