"Das Koalitionsklima ist anfällig und wechselhaft, weil das Grundvertrauen nicht gegeben ist. Vielmehr ist das Klima durch ein Grundmisstrauen geprägt."

Foto: Honsig/derStandard.at

"Einer muss der am weitesten links stehende Minister sein."

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Buchinger zur Plakatkampagne gegen Gewalt: "Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind eine große Gruppe und deshalb ebenfalls relevant. Und aus den Erfahrungen, die an uns herangetragen wurden, gehen wir davon aus, dass das Rollenverhalten bei diesen jungen Leuten weniger auf Gleichstellung ausgerichtet ist."

Erwin Buchinger wundert sich über Martin Bartenstein. Es sei eindeutig Kalkül, dass der Wirtschaftsminister immer wieder Pflege-Vereinbarungen kritisiere, die dieser selbst mitbeschlossen habe, meint er im derStandard.at- Interview . Die ÖVP attackiere Buchinger vor allem deswegen, weil seine "Beliebtheitswerte ganz gut" seien. Anstatt Attacken zu reiten solle man sich lieber dem "sozialen Wettbewerb" stellen.

Seine Haarpracht für soziale Zwecke geopfert zu haben, bereut Buchinger nicht. Den Vorwurf des Populismus´ sieht er gelassen: "Ich möchte den Menschen zwar aufs Maul schauen, ihnen aber nicht nach dem Maul reden." Als "Männerminister" startet Buchinger dieser Tage eine Kampagne mit dem Slogan "Meine Stärke tut niemandem weh". Dass dieser Slogan auch in türkischer und serbokroatischer Sprache affichiert wird, sei "nicht als Diskriminierung gemeint".

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derStandard: Wer ist populistischer? Sie oder Andrea Kdolsky?

Buchinger: Das kommt darauf an, wie man Populismus versteht. Ich verstehe darunter, Vorschläge im Interesse der Menschen zu machen. Ich möchte den Menschen zwar aufs Maul schauen, ihnen aber nicht nach dem Maul reden. Ich lasse keine Ballons steigen in dem Bewusstsein, dass ich mit meinen Vorschlägen ohnehin nichts bewirken kann.

derStandard: Andrea Kdolsky tut das?

Buchinger: Dazu sage ich nichts. Ich habe zu Andrea Kdolsky ein gutes Verhältnis. Jeder Mensch legt sein Amt an, wie er es will.

derStandard.at: In einem Chat auf derStandard.at habe Sie sich auf den Deal eingelassen, sich für den guten Zweck unters Friseursmesser zu begeben. Haben Sie das je bereut?

Buchinger: Diese Aktion hat mir zwar oft Probleme gemacht, weil viele versuchten, meine Arbeit auf diesen Friseurtermin zu reduzieren. Bereut habe ich es allerdings nie. Es hat mir sogar mehr genutzt als geschadet. Auch politisch, obwohl es damals nicht aus Kalkül geschehen ist. Herr Danler ist immer noch mein Friseur.

derStandard: Themenwechsel zur Pflege: Der Wirtschaftsminister hält die unterschiedliche Förderung von selbstständigen und unselbstständigen Pflegekräften nun doch für verfassungsrechtlich bedenklich.

Buchinger: Verfassungswidrig wäre nicht die Ungleichbehandlung, sondern die Gleichbehandlung. Schließlich ist die Sozialversicherung von Selbstständigen und Unselbstständigen "völlig unterschiedlich" hoch.

derStandard: Martin Bartenstein hat vergangene Woche im STANDARD-Interview vorgeschlagen, die Vermögensgrenze bei der 24-Stunden-Pflege wegzulassen. In Ihren Augen "verrückt" oder der "richtige Ansatz"?

Buchinger: Das ist ein richtiger Ansatz. Aber diese Abschaffung würde nur wenige Fälle betreffen. Für mich persönlich wäre es deshalb noch wichtiger, den Regress zu diskutieren, also der Zugriff auf das Vermögen der Kinder.

Man muss allerdings vorsichtig sein mit Vorschlägen, deren Last der Erfüllung bei jemand anderem liegt. Man kann die zuständigen Gemeinden und Länder nicht einfach auffordern, auf diese Einnahmen zu verzichten. Es handelt sich hier um hunderte Millionen Euro, die vom Bund kompensiert werden müssten.

derStandard: Die Finanzausgleichsverhandlungen sind allerdings vorbei.

Buchinger: Deswegen wundert mich der Bartenstein-Vorschlag zu diesem Zeitpunkt besonders. Das hätte man vor dem Finanzausgleich diskutieren müssen. Jetzt hat das nur eine mediale Bedeutung und keine Wirksamkeit, Verhältnisse zu ändern. Die nächsten Finanzausgleichsverhandlungen finden erst wieder in sechs Jahren statt.

derStandard: Wie könnte so was prinzipiell finanziert werden?

Buchinger: Ich plädiere für eine zweckgebunde Vermögensbesteuerung als solidarischen Beitrag aller Vermögenden. Als Alternative wäre noch eine Pflegeversicherung möglich. Für die Vermögensbesteuerung spricht, dass Österreich bisher unter ein Prozent des BIP durch Vermögensbesteuerung einnimmt. Damit ist Österreich in der EU das absolute Schlusslicht.

derStandard: Wird sich die ÖVP darauf einlassen, Vermögen höher zu besteuern?

Buchinger: In dieser Regierung ist es uns immer wieder gelungen – mit wenigen Ausnahmen – zu einem Konsens zu kommen. Danach erwarte ich allerdings, dass sich der Regierungspartner an diese Vereinbarungen hält. Das hat er im Bereich der Pflege leider nicht getan. Jetzt gerade wieder punktuell durch Minister Bartenstein. Und zwar nachdem gemeinsam Vermögensgrenze, Höhe und Art der Zuschüsse bei der 24-Stunde-Pflege beschlossen wurde. Wer sich so verhält, ist kein verlässlicher Partner.

derStandard: Steckt hinter den Wortmeldungen von Minister Bartenstein Kalkül?

Buchinger: Ja, natürlich. Die österreichische Volkspartei weiß, dass die soziale Frage eine Wahl entscheidende ist. Und sie weiß, dass der SPÖ die soziale Kompetenz zugeschrieben wird, und dass meine Beliebtheitswerte ganz gut sind. Darum werde ich als Sozialminister attackiert. Ich würde der ÖVP vorschlagen, doch selbst soziales Profil zu entwickeln und dann mit uns in den Wettbewerb zu treten.

derStandard.at: In den nächsten Wochen werden in Österreich neue Plakatsujets mit dem Slogan "Meine Stärke tut niemandem weh" affichiert. Reagiert man mit dieser Kampagne gegen Gewalt in der Familie, anlassbezogen schnell mal auf den „Fall Luca“?

Buchinger: Das ist keine anlassbezogene Kampagne. Ich habe schon zu meinem Amtsantritt als Männerminister angekündigt, dass ich unter anderem im Bereich Gewaltprävention einen Schwerpunkt setzen möchte. Diese Plakate zeigen „starke Männer“, weil die Täter Anregungen von anderen Männern leichter annehmen können. Auch ich trage zum Beispiel den "white ribbon" der Aktion "Stopp der Männergewalt". Im letzten Ministerrat habe ich diese auch an meine männlichen Ministerkollegen verteilt.

derStandard.at: Wer hat ihn angesteckt?

Buchinger: Aufgefallen ist mir der Anstecker bisher zumindest bei Minister Darabos. Ich hoffe, dass ihn auch die anderen tragen.

derStandard.at: Ist eine Plakatkampagne wirklich ein geeigneter Weg, gegen Gewalt vorzugehen, oder wird dadurch nur erreicht, dass wieder nur eine "Elite" über diese Dinge reflektiert?

Buchinger: Gewalt in der Familie ist in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden. Außerdem besteht die Kampagne ja nicht nur aus Plakaten. Wir fördern in jedem Bundesland Workshops in Schulen und Jugendzentren und wollen verstärkt auf die Sensibilisierung von jungen Burschen setzen.

Eine weitere Kampagne gemeinsam mit Alexander Goebel ist auch schon in Planung. Unter der Dachmarke "Wir sind Männer" werden wir noch stärker in die Breite gehen. Wir versuchen gerade Zinedine Zidane für diese Kampagne zu gewinnen. Aus meiner Sicht können vor allem jene Männer diese Botschaft glaubwürdig vermitteln, denen man Männlichkeit und Glaubwürdigkeit attestiert. Und eben jene, die wie Zidane Erfahrungen mit Gewalt haben, aber ihre "Gewalttat" als Fehler sehen.

derStandard.at: Gewalt ist zwar - wie Sie sagen - in allen Schichten zu finden, mit den zweisprachigen Slogans zeigen Sie allerdings erst wieder auf eine bestimmte Gruppe, auf die Migranten.

Buchinger: Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind eine große Gruppe und deshalb ebenfalls relevant. Und aus den Erfahrungen, die an uns herangetragen wurden, gehen wir davon aus, dass das Rollenverhalten bei diesen jungen Leuten weniger auf Gleichstellung ausgerichtet ist. Hätten wir die Plakate nicht zusätzlich in türkischer und serbokroatischer Sprache verfasst, müssten wir uns den Vorwurf gefallen lassen, darauf nicht Rücksicht zu nehmen. Mit den üblichen deutschsprachigen Kampagnen besteht aber die Gefahr, dass wir diese Gruppe nicht erreichen. Denn in der Muttersprache ist die Botschaft unmittelbarer und emotionaler.

derStandard.at: Haben Sie keine Sorge, dass das aber sehr wohl als Vorverurteilung gesehen wird?

Buchinger: Ich gehe davon aus, dass das richtig verstanden wird. Denn es ist nicht als Diskriminierung gemeint.

derStandard.at: Wie viel ist in den Monaten in der Regierung von Ihrem Ruf als der am meisten links gerichtete Minister noch übrig geblieben?

Buchinger: Ich wurde immer als linker Minister eingeschätzt und habe mich nicht dagegen gewehrt, weil es irgendwie passt. Einer muss der am weitesten links stehende Minister sein. Ich denke, dass ich mich in diesen Monaten nicht abgeschliffen habe und ich habe nicht vor, mich in Zukunft verbiegen zu lassen. Ich bin kein Streithansel, formuliere aber Positionen klar und deutlich und bin zu Kompromissen im Interessensausgleich bereit. Denn niemand hat die absolute Wahrheit für sich gepachtet. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 3.12.2007)