Budapest – Der Bahnstreik lähmte zwar für einen Vormittag das gesamte Land, die Auswirkungen waren aber weniger gravierend als – je nach Blickwinkel – erwartet beziehungsweise gefürchtet: Am Mittwoch zwischen sechs und zwölf Uhr ging auf Ungarns Schienen gar nichts. Rund 1300 Züge waren von der Arbeitsniederlegung der Eisenbahner betroffen. Grund des Ausstands: Die Staatsbahn MÁV will Nebenbahnen stilllegen. Außer den Eisenbahnern streikten noch einige Lehrer, die Arbeiter der Energieversorger, die Busfahrer sowie die Beschäftigten des Flugwesens. Geduldige Passagiere Wie der ungarische Rundfunk berichtete, blieb Chaos aus, da die Bürger zwischen Puszta und Theiss über den Streik informiert worden seien und auf andere Transportmöglichkeiten ausgewichen seien. Auf den Budapester Bahnhöfen hätten Passagiere geduldig auf den erneuten Zugverkehr gewartet, dessen volle Normalisierung für Donnerstag früh angekündigt wurde. Laut dem Sprecher der MÁV habe die Wiederaufnahme des Verkehrs der internationalen und Intercity-Züge Vorrang. Der Streik der Eisenbahner wurde vom Liga-Gewerkschaftsbund der unabhängigen Gewerkschaften organisiert, der mit der Aktion gegen die geplante Stilllegung von 38 Nebengleisen der Staatsbahn MÁV, gegen die Einführung von privaten Krankenkassen und die Pensionsreform protestierte. Die größten Gewerkschaftsverbände hätten sich jedoch der Liga-Streik-Aktion nicht angeschlossen, da sie „Gewerkschaftarbeit von der Parteipolitik fernhalten wollen“, schreiben Medien. Parteipolitik Dem Liga-Chef István Gaskó wird seitens der Regierungsparteien vorgeworfen, dass seine Protestaktion nicht frei sei von Parteipolitik. Die wichtigste Oppositionspartei Fidesz unterstützt die Proteste. Die Liga-Gewerkschaften hatten trotz Einlenken der Regierung hinsichtlich der Nebenstrecken nicht auf ihr Streikvorhaben verzichtet. Für den Mittwochabend hatte die Liga zu einer Massendemonstration vor das Budapester Parlament aufgerufen, um weiter gegen die Sparpläne der Regierung zu protestieren. Laut Polizei wurden etwa zehntausend Teilnehmer erwartet, laut den Veranstaltern 50.000. Sándor Richter, Ungarn-Experte im Wiener WIIW, erwartet, dass der ungarische Staat es sich zwar leisten könne, ein paar Nebenbahnen doch nicht stillzulegen, bei der Pensionsreform aber nicht nachgeben werde – zu schwer wiegen die Haushaltsprobleme. „Die Maßnahmen der Regierung haben zwar einige negative Auswirkungen, aber eine Umkehr der Politik wäre gleichsam risikoreich“, bestätigt der Politologe Attila Gyulai. (APA, Reuters, szem, DER STANDARD, Printausgabe 22.11.2007)