Der liberale britische Oberhausabgeordnete Lord Dick Taverne kritisierte die "Kreuzzugsmentalität" der Ökologiebewegung in der Genfood-Debatte (STANDARD, 14.11. )

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Es ist also tatsächlich in Mode gekommen, Greenpeace und anderen Mitstreitern im Kampf gegen die Agro-Gentechnik religiösen Fundamentalismus vorzuwerfen. Und ehrlich gesagt freue ich mich sogar darüber. Denn offenbar müssen die Befürworter der Gentechnik in der Landwirtschaft inzwischen auf unzutreffende Polemik zurückgreifen; augenscheinlich aus Scheu vor einer ernsthaften Auseinandersetzung mit kritischen wissenschaftlichen Argumenten. Diese nämlich würde unweigerlich zu dem Schluss führen, dass es sich um eine riskante und unzureichend erforschte Technologie handelt, die weder für Umwelt noch Mensch Vorteile bringt.

Nimmt man die angeblichen Vorteile gentechnisch veränderter Pflanzen einmal genau unter die Lupe, landet man schnell im Land der Mythen und gebrochenen Versprechen. Zwei Beispiele:

Genpflanzen...

Mythos 1 - Gentechnik löst Hunger und Mangelernährung

Es gibt kaum einen Kommentar zu den angeblichen Vorteilen von Gentech-Pflanzen, der den Gentechnik-Kritikern nicht die Schuld an Hungertod und Mangelernährung in Entwicklungsländern gibt. Fast reflexartig wird dann der Untote unter den Gentech-Pflanzen, der "Golden Rice", hervorgezaubert.

Sehen wir einmal davon ab, dass die Erhöhung des Vitamin-A-Gehalts des Golden Rice ein wissenschaftlicher Unfall war, sich das Vitamin A beim Kochen zum Teil verflüchtigt und beim Essen von Golden Rice vom Körper nicht gut aufgenommen werden kann. Selbst dann stellt sich heraus, dass Entwicklungsländer Golden Rice zur Bekämpfung von Vitamin-A-Mangel etwa so nötig haben wie ein Fisch ein Fahrrad. In Ländern wie Bangladesch wurde inzwischen die Gefahr für Kinder, wegen Vitamin-A-Mangel zu erblinden, nahezu vollständig gebannt, und zwar mit einer regionalen Lösung: Ein halber Teelöffel Palmöl reicht beispielsweise aus, um den täglichen Bedarf an Vitamin A zu decken und Mangelerscheinungen vorzubeugen. Zudem sind solche Lösungen nicht nur billiger, sondern auch einfacher umzusetzen. Also lasst den Golden Rice endlich sterben und nicht weiter wie einen Zombie durch die Gentechnik-Debatte wandeln.

...als Zaubermittel?

Mythos 2 - Gentechnik reduziert Spritzmittel

In Argentinien ist die angebaute Gentech-Soja mittlerweile zu 99 Prozent gentechnisch verändert. Das Versprechen von Monsanto: Durch die Beständigkeit der Pflanze gegen das Totalherbizid Roundup wird der Einsatz dieser Chemikalie reduziert. Eine wissenschaftliche Studie des renommierten US-Agronomen Charles Benbrook über die ersten zehn Jahre des Soja-Anbaus zeichnet aber ein dramatisches Bild: Der Einsatz von Roundup pro Hektar ist in dem Zeitraum um über die Hälfte gestiegen, insgesamt gar ums 56fache. Tendenz steigend, da immer mehr Unkräuter Resistenzen entwickeln.

Dick Taverne bezeichnet sich selbst als "vehementen Umweltschützer". Wer so etwas gutheißt, ist in meinen Augen alles andere als das.

In einem Punkt muss ich Seiner Lordschaft jedoch zustimmen: Es braucht mehr unabhängige Forschung zur Risikoabschätzung der agrarischen Gentechnik. Ob wir uns über das Was und Wie einigen können, bezweifle ich freilich. (Steffen Nichtenberger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.11.2007)