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Auf dem Teppich geblieben: Frankreichs Staatschef Sarkozy wird von EU-Parlamentspräsident Pöttering begleitet.

Foto: AP
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat in einer Grundsatzrede vor dem EU-Parlament eine breite Reformdebatte für die Präsidentschaft seines Landes im zweiten Halbjahr 2008 angekündigt. Heftige Kritik übte er erneut an der Europäischen Zentralbank.

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Straßburg/Brüssel – Siebeneinhalb Monate vor Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft hat Staatspräsident Nicolas Sarkozy eine breite europäische Reformdebatte angekündigt. Mit dem EU-Reformvertrag sei Europa zwar „aus einer Sackgasse“ gekommen, habe aber damit noch nicht seine „politische und moralische Krise“ überwunden, sagte Sarkozy am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg.

Die EU müsse ohne Angst und Tabus über die politischen Fragen und die Zukunft des Kontinents debattieren. Sarkozy nannte die Handels-, Haushalts-, Währungs-, Industrie- und Steuerpolitik. Deshalb habe er vorgeschlagen, einen Weisenrat mit diesen Fragen zu befassen.

„Die europäischen Völker befinden sich in einer schwerwiegenden Identitätskrise“, sagte Sarkozy. Dies hänge mit der Globalisierung zusammen. Es sei auch ein Fehler gewesen, „das Europa der Kultur vergessen zu haben“. Applaus der Abgeordneten erntete Sarkozy mit seiner Forderung, Europa müsse „die Frage der Menschenrechte in alle Regionen der Welt tragen“.

Sarkozy sprach sich für einen weiteren Übergang von Einstimmigkeits- zu Mehrheitsentscheidungen aus, ohne dies näher auszuführen. Solange ein Land Entscheidungen blockieren könne, werde die EU „nie etwas Großes beschließen können“.

Für Protektion

Einen besseren Schutz verlangte Frankreichs Staatspräsident vor Dumping im Außenhandel. „Europa will keinen Protektionismus, aber Europa muss Gegenseitigkeit einfordern. Das Wort Protektion darf in der europäischen Demokratie nicht verboten werden. Wir sollten in der Lage sein, uns mindestens auf dieselbe Art zu schützen, wie andere das tun.“

So würden Konkurrenten europäischer Landwirte sicherstellen, dass ein Teil ihrer Märkte für sie reserviert bleibe. „Warum sollte Europa das nicht auch tun?“ Die Politiker müssten die Sorgen der Menschen zu „Globalisierung und Kommerzialisierung der Welt“ ernst nehmen, wenn sie die Vertrauenskrise in Europa überwinden wollten.

Vor diesem Hintergrund kritisierte Sarkozy erneut die Europäische Zentralbank (EZB) und deren Unabhängigkeit von der Politik: „Wenn andere Länder eine Währungspolitik betreiben, warum sollte Europa das nicht auch tun?“ Ohne die EZB direkt zu benennen, mahnte Sarkozy, Institutionen dürften den Begriff Unabhängigkeit nicht mit „totaler Verantwortungslosigkeit“ gleichsetzen. Außerdem forderte Sarkozy, den „finanziellen Kapitalismus“ nicht den Spekulanten zu überlassen.

Als Kernpunkte der Reformdebatte unter seiner Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 nannte Sarkozy die Reform der EU-Agrarpolitik, Ökosteuer, Ausbau erneuerbarer Energien sowie Verteidigungs- und Migrationspolitik. Der Vizefraktionschef der EU-Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, äußerte im Anschluss an die Rede „große Zweifel“ daran, dass Sarkozy mit seinem „Aktionismus“ ein guter EU-Ratspräsident sein werde. „Ich habe den starken Verdacht, dass es ihm immer wieder um Frankreich geht, wenn er Europa im Munde führt. (mimo, APA, Reuters/DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2007)