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Ein brasilianischer Xingu-Indígena unterschreibt bei der Präsidentschaftswahl auf einer Wählerliste. In zwei von drei der gängigsten Geografie-Schulbücher wird hingegen die Integration von Indígenas in die Nation über Wahl- oder Schulsysteme sowie Migration ausgeblendet.

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Christa Markom, Sozial- und Kulturanthropologin an der Universität Wien; derzeit Mitarbeiterin im NODE-Projekt "Contesting Multiculturalism". Sie hält Seminare und Workshops im Bereich Sprache und Sensibilisierung, Gender & Migration sowie Gender Equality & Cultural Diversity.

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Heidi Weinhäupl ist Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Sie bietet Workshops im Bereich Medien & Rassismus an.

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Christa Markom, Heidi Weinhäupl (2007): Die Anderen im Schulbuch. Rassismen, Exotismen, Sexismen und Antisemitismus in österreichischen Schulbüchern. Sociologica, Band 11. Herausgegeben von Hilde Weiss, Christoph Reinprecht. Braumüller: Wien. Preis: 24.90 Euro. Erhältlich im Buchhandel.

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Albert Einstein zufolge ist es leichter, Atome zu zertrümmern als ein Vorurteil. Bei Erwachsenen verfestigte Vorurteile bekämpfen zu wollen, ist zumeist ein hoffnungsloses Unterfangen. Sollen Rassismus, Antisemitismus und Sexismus in unserer Gesellschaft zurückgedrängt werden, muss daher schon in der Schule angesetzt werden. Doch was, wenn die Vorurteile schon über die Schulbücher transportiert werden?

In der Studie "Die Anderen im Schulbuch" befassen sich die Autorinnen Christa Markom und Heidi Weinhäupl mit eben dieser Frage. Anhand der drei gängigsten Schulbücher für Geographie, Biologie und Geschichte an österreichischen AHS-Unterstufen wird in der Arbeit dargelegt, wie einzelne Vorurteile weitergeschrieben werden. Dies zeigt sich teilweise schon anhand der verwendeten Wörter: "Horden", "primitive Volksstämme" und "Steinzeitmenschen" fanden sich ebenso wie "Schwarzafrikaner" und "Zigeuner". Hier erklären die Autorinnen in den einzelnen Kapiteln die Geschichte dieser Begriffe.

"Totale Anarchie"

Behandelt wird die Darstellung "des Orients" und "des Islam" ebenso wie Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Sexismus. Auch exotische und abwertende Darstellungen von so genannten "Naturvölkern" wurden untersucht. So finden sich bei der Beschreibung von Indigenen des Amazonas-Tieflandes evolutionistische und sozialdarwinistische Annahmen: Die in der Zwischenüberschrift "Indianer musst du sterben?" gestellte Frage wird über den Text bejaht. In Bezug auf die Darstellung Afrikas als "dunkler" und gewaltvoller Kontinent schlagen die Autorinnen vor, weniger drastische Metaphern zu verwenden. So findet sich in einer Grafik mit der Bildunterschrift "Leider nur ein Teil der vielen Krisenherde in Afrika" die Sprachbilder: "ausbluten", "blutiger Krieg", "blutige Fehden", "blutiger Vernichtungskrieg", "totale Anarchie".

Vielschichtigeres Bild statt Superlative

Dabei gehe es nicht um eine Beschönigung der Realität, sondern darum, auf sprachliche Superlative zu verzichten und statt dessen auf soziale Bewegungen, Widerstand und Opposition hinzuweisen, um ein vielschichtigeres Bild zu liefern.

Diskriminierung benennen

Häufig, so die Autorinnen, war in den Schulbüchern jedoch ohnehin das Bemühen sichtbar, Diskriminierungen zu benennen und auch zu verurteilen: Beispielsweise inkludierten zwei von drei der untersuchten Biologiebücher (während das dritte noch von Menschenrassen sprach) auch Informationen zu Rassismus. Rassistische Strukturen oder die Verantwortung der Wissenschaften in der Vergangenheit bleiben jedoch ausgeblendet.

Das selbe Bild zeigt sich auch beim Thema Homosexualität oder Rollenbilder der Frau: Diskriminierung wird verurteilt, aber ihre Auswirkungen auf die Betroffenen werden nicht sichtbar gemacht – die Verantwortlichen werden nicht genannt, dafür wird mit erhobenem Zeigefinger "Toleranz" gefordert.

Good Practice

Kritik an den Lehrmaterialien wird nicht aufgeregt oder verurteilend geübt, sondern konstruktiv – und auch Lob wird verteilt: Die Geschichtebücher kommen beispielsweise über weite Strecken gut weg. Anhand von Good-Practice-Examples werden auch Ideen aus den Schulbüchern verarbeitet. Und konkrete Verbesserungsvorschläge zeigen, dass die Lesbarkeit der Schulbücher keineswegs leiden müsste: Oft werden die Texte sogar konkreter, wenn ihr Sinn genau hinterfragt wurde.

Ausgeblendeter Antisemitismus

Harsche Kritik hagelt es allerdings beim Thema Antisemitismus. Dieser werde quer durch die Geschichte maximal kurz genannt, ausführlich thematisiert aber nur im Rahmen des Holocaust. Der verbreitete Antisemitismus vor der Nazizeit und auch danach wird ausgeblendet. Besonders kritisch wird die Darstellung des Nahostkonfliktes beurteilt. Die Aktiv-Passiv-Konstruktionen und eine verzerrte Darstellung zeigen, so die Autorinnen, dass "die Juden" als "Tätervolk" konstruiert werden, während "die Palästinenser" sich hauptsächlich wehren.

Workshops

Die Analyse versteht sich als Überblick und als Anleitung, selbst kritisch zu lesen. Besonderes Augenmerk verdient das Methodenkapitel: Über einfache Fragen erhalten LehrerInnen das Werkzeug, um mit ihren SchülerInnen in kleinen Projekten selbst das Schulbuch kritisch zu zerlegen. Insgesamt stellt das im Braumüller-Verlag erschienene Buch den gelungenen Versuch eines Brückenschlages zwischen wissenschaftlichem Diskurs und konkreten Anwendungen in der Schule dar. Für Schulen, die im Unterricht diese Brücke bewusst beschreiten wollen, ergeben sich noch weiterführende Möglichkeiten: Auf ihrer Website bieten die Autorinnen auch Workshops für SchülerInnen und LehrerInnen an.

Dabei kann in der Praxis der Versuch stattfinden, Einstein zu widerlegen – und Vorurteile in ihre Atome zu zetrümmern. (vos, 11.11.2007)