Zu viele Drop-outs, zu viele Sitzenbleiber, zu viel Nachhilfe: Für Claudia Schmied (SP) ist „die Zeit des Handelns gekommen“.

Foto: Cremer
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Die SP-Bildungsministerin freut sich noch immer über den Kompromiss zur Neuen Mittelschule: Diskutiert habe man das Thema schon unendlich viel, jetzt sei die Zeit des Handelns gekommen. Ziel sei es, die Schullaufbahnberatung effizienter zu machen - denn die derzeitigen Drop-Out- und Wiederholungs-Quoten zeigen, dass dies nicht funktioniert. Das sei teuer und man vermittle das Gefühl des Versagens, erklärte Schmied im Interview mit Lisa Nimmervoll.

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STANDARD: Ganz ehrlich, wie „glücklich“ sind Sie wirklich mit der Schul-Einigung? Von Ihren Plänen ist nicht viel übrig. Die ÖVP hat Sie ganz schön abgeräumt – sie hat Ihnen eine breite Mitbestimmung aufgedrängt, die Sie nicht wollten, und Sie mit einem erweiterten Schulversuchsparagrafen abgespeist, obwohl Sie lieber eine große Schulorganisationsnovelle wollten.

Schmied: Ich war glücklich und bin noch immer sehr froh, dass wir mit dem vorliegenden Kompromiss einen von mir immer geforderten gesetzlichen Rahmen gefunden haben, der zwei Punkte fixiert: Rechtssicherheit und Bestandsgarantie für die Eltern. Das ist uns gerade noch rechtzeitig gelungen. Das Ergebnis zählt. Das Konzept Neue Mittelschule, nämlich die gemeinsame Ausbildung der Zehn- bis 14-Jährigen, ist ermöglicht. Damit gelingt der Start 2008. Und weil immer wieder gesagt wird, „Na, hätte man nicht vielleicht doch noch ein Jahr mehr reden und noch warten sollen“ – da muss ich sagen: Zu diesem Thema ist schon unendlich viel diskutiert worden, für mich ist die Zeit des Handelns gekommen. Im Interesse der Kinder ist es hoch an der Zeit, dass wir jetzt mit der Umsetzung beginnen.

STANDARD: In diese „Zeit des Handelns“ wollen Ihnen aber nicht einmal Ihre Parteifreunde folgen. Wien wartet noch ein Jahr, Salzburg plant ebenfalls den Absprung. Enttäuscht?

Schmied: Nein. Da ich mich ja auch persönlich so mit diesem Projekt identifiziere, ist mir sehr wichtig, dass es die größtmöglichen Chancen auf Erfolg hat. Die sind dann gegeben, wenn wirklich gut vorbereitet wird. Da vertraue ich ganz auf die Länder. Besser, noch intensiver vorbereiten als ein schlechter Start.

STANDARD: Wird es eine Untergrenze an angemeldeten Kindern geben, ab der eine Neue Mittelschulklasse gestartet wird?

Schmied: Das werden wir alles in den einzelnen Regionen besprechen und im Februar bei der Schulanmeldung sehen. Ich lege mich jetzt nicht auf Zahlen fest, mache mir aber nach den bisherigen Reaktionen vor Ort – daraus schöpfe ich ja meinen Optimismus und meine Leidenschaft für das Projekt – keine Sorgen, dass wir die Eltern nicht begeistern können.

STANDARD: Ab wann sehen Sie das Projekt Mittelschule gescheitert, wenn Sie jetzt sagen, 30 bis 40 Schulen sind ihr Hoffnungsziel für 2008?

Schmied: Mein Erfolgskriterium ist weniger die Prognose, wie viele Klassen wir zustande bringen. Mein Erfolgskriterium ist langfristiger. Darum ist die begleitende Evaluierung so wichtig, die braucht einen längeren Zeitraum, um die Ergebnisse beurteilen zu können. Da sind wir schon in der nächsten Legislaturperiode. Was ist der Sinn des Projekts? Der Sinn ist, dass die Schullaufbahnentscheidung für die Kinder besser gelingt. Alle Indikatoren, die wir jetzt haben, zeigen, dass das derzeit nicht gelingt. Wir haben enorm hohe Drop-out-Quoten in den berufsbildenden Schulen. Von hundert Schülern, die beginnen, machen 44 die Matura. Das ist ökonomisch unsinnig, weil teuer. Und was noch viel mehr zählt: Wir vermitteln das Gefühl des Versagens.

Zweiter Indikator ist die extrem hohe Zahl von Wiederholungsprüfungen im Oberstufenbereich. Offensichtlich sind die Jugendlichen nicht entlang ihrer Begabungen und Neigungen unterwegs. Dazu kommen überbordende Nachhilfekosten und ein unglaublicher Druck, der auf den Schülerinnen und Schülern lastet. Nach Studien sind zwanzig Prozent der Kinder schon psychosomatisch betroffen oder nehmen Medikamente vor Prüfungen. Da stimmt etwas im System nicht und darauf wollen wir mit der Neuen Mittelschule reagieren. Ihren Erfolg wird man sehen.

STANDARD: Wo wollen Sie am Ende der Versuchsphase der Neuen Mittelschule stehen?

Schmied: Nach acht Jahren wünsche ich mir, dass ein breiter, von der Bevölkerung getragener Wille da ist, die Neue Mittelschule zur Regelschule für alle Kinder zu erklären.

STANDARD: Warum mutet man denn den Hauptschullehrern jetzt in der Neuen Mittelschule zu, dass sie für weniger Geld mitmachen als AHS-Lehrer? Wäre es nicht konsequent gewesen, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern die Gemeinsamkeit, die man in der gemeinsamen Schule für die Kinder will, zu schaffen?

Schmied: Mittelfristig plane ich eine gemeinsame Ausbildung für alle Lehrenden und ein einheitliches Dienstrecht. Jetzt ist es so, das muss man auch sehen, dass ganz offensichtlich die Innovationskräfte und die Leidenschaft, didaktisch und pädagogisch Neues anzugehen, im Pflichtschulbereich stärker ausgeprägt ist.

STANDARD: Was passiert in den nächsten Jahren im Nicht-Mittelschul-„Rest“ an Reformen?

Schmied: Die Neue Mittelschule ist ein wichtiger und glänzender Mosaikstein in meinen Gesamtreformbestrebungen. Ich möchte neue Akzente setzen und neuen Schwung hineinbringen. Das Bildungssystem, wie ich es jetzt nach neun Monaten als eine, die von außen kommt, sehe, ist eines, das sehr starke Beharrungskräfte hat. Die große Frage, die mich beschäftigt, ist, wie gelingt es, aus diesem sehr bewahrenden System ein innovatives, zukunftsgerichtetes zu machen. Da ist viel am System zu arbeiten, damit es in die Zukunft geht. Das ist die große Aufgabenstellung, und da muss man gleichzeitig an vielen Punkten arbeiten. Ich will mehr Zuwendung für die Schüler, eine andere Kultur des Unterrichtens. Stichwort Individualisierung. Der Schlüssel für den Erfolg in der Bildung sind motivierte Lehrerinnen und Lehrer. Es muss uns gelingen, das Image der Lehrenden anzuheben, Karrieremöglichkeiten anzubieten und als Fernziel die gemeinsame Ausbildung aller im Lehrberuf Tätigen. Die Arbeitsbedingungen müssen unbedingt verbessert werden. Arbeitsplätze, so wie sie derzeit im Lehrerzimmer gegeben sind, können leicht dazu führen, dass Jammer-Klubs entstehen. Es geht aber um Zukunft, um Arbeit, um Innovation. (DER STANDARD, Printausgabe 10./11.11.2007)