So wie es immer war: der Rote Platz in Moskau mit Kreml, Lenin-Mausoleum, Basilius-Kathedrale und Kaufhaus Gum.

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Die Frage ist längst nicht mehr, ob Wladimir Putin Russlands Geschicke auch nach Ablauf seiner zweiten Präsidenten-Amtszeit lenken wird. Und inzwischen ist auch das Wie einigermaßen klar.

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Moskau/Wien - Vor 90 Jahren, am 7. November 1917, ergriffen die russischen Bolschewiki unter Lenin mit dem Sturm auf das Winterpalais in St. Petersburg die Macht. Die sogenannte Oktoberrevolution (am 25. Oktober nach dem julianischen Kalender) war in Wirklichkeit ein Staatsstreich. "Bolschewiki" leitet sich von "Bolschinstwo" - die Mehrheit - ab. Die Bolschewiken unterstrichen damit ihren Machtanspruch, auch wenn sie in den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung am 12. November gegenüber den Sozialrevolutionären klar in der Minderheit blieben.

Erst vor zwei Jahren wurde in Russland der Gedenktag an die "Oktoberrevolution" abgeschafft. Die Ideologie der Mehrheit aber - wie immer sie erreicht oder legitimiert wird - ist geblieben. Bei den Parlamentswahlen am 2. Dezember kann die Kreml-Partei "Jedinaja Rossija" (Einiges Russland) nach Prognosen des Moskauer Meinungsforschungszentrums Lewada mit 60 Prozent der Stimmen rechnen. Dahinter folgen mit gehörigem Respektsabstand die Kommunisten mit rund 15 Prozent. Sie gaben schon bisher des Kremls loyale Opposition. Da vermutlich keine weitere Partei die auf sieben Prozent erhöhte Hürde für den Einzug in die Staatsduma überspringen wird, zeichnet sich für Lewada-Chef Lew Gudkow ein Ein-Parteien-Parlament ab.

Spitzenkandidat von "Einiges Russland" ist seit Anfang Oktober Staatspräsident Wladimir Putin. Mit diesem Coup beendete Putin das Rätselraten um seine politische Zukunft nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit im Frühjahr 2008. Als wahrscheinlichste Variante gilt nun, dass Putin Regierungschef wird und der von ihm eingesetzte neue Premier Viktor Subkow als Favorit in die Präsidentschaftswahlen geht.

Ein amtierender Präsident als Spitzenkandidat bei Parlamentswahlen: Was mit westlichem Demokratieverständnis unvereinbar ist, entspricht offenbar einem in der russischen Bevölkerung weit verbreiteten Wunsch nach Stabilität und Kontinuität. In einer Lewada-Umfrage von Mitte Oktober zur Frage "Welches politische System erscheint Ihnen als das Beste?" kreuzten 35 Prozent die Antwort "das sowjetische System, das wir bis zu den 1990er-Jahren hatten" an, 27 Prozent "das heutige System" und nur 19 Prozent "die Demokratie nach dem Muster westlicher Staaten". Sowjetsystem und "System Putin" kommen also zusammen auf fast zwei Drittel Zustimmung.

An dieser breiten Mehrheit der Russen für Stabilität und Kontinuität, wie sie sie verstehen, wird sich auf absehbare Zeit wenig ändern. Je weniger Illusionen man sich im Westen darüber macht, desto besser für eine realistische Politik gegenüber Russland. Realismus schließt jedoch Prinzipientreue bei Demokratie und Menschenrechten nicht aus. Und dabei ist vor allem Geduld gefragt. Denn außer in der kurzen Zeit zwischen der Februarrevolution 1917 (die wirklich eine war) und der "Oktoberrevolution" hat Russland bis heute keine wirkliche demokratische Erfahrung. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2007)