In der Gazela gibt es nur eine Wasserstelle. Ein Umstand, der das tägliche Leben extrem erschwert.

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Eine der Haupteinnahmequellen der in der Gazela lebenden Roma ist das Sammeln von Altstoffen.

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Nahe dem Herzen von Serbiens Hauptstadt Belgrad, zwischen dem Sportstadion und Luxushotels, liegt die Roma-Elendssiedlung "Gazela". Ein Reiseführer von Eduard Freudmann, Can Gülcü und Lorenz Aggermann wirft ein Schlaglicht auf die ungewollte Gegend.

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Wien - Ein Fernsehteam dringt in die Belgrader Elendssiedlung "Gazela" ein. Sie schnappen sich einen Bewohner, fragen zynisch: "Wenn ihr neue Wohnungen bekommt, verheizt ihr dann die Parkettböden?" Sie filmen rasch ein paar Szenen, und "schon wird das übliche verzerrte und rassistische Bild der Roma transportiert". Eduard Freudmann und Can Gülcü sind nach ihrer fünfsemestrigen Arbeit am Reiseführer in die Romasiedlung schlecht auf respektlose Reporter zu sprechen.

Im zentralen Stadtteil Novi Beograd nahe dem Hotel Intercontinental, nur zwei Kilometer von Belgrads Altstadt entfernt, leben geschätzte 820 Roma in dürftigen Hütten bei der Autobahnbrücke "Most Gazela", von der sich der Siedlungsname ableitet. Diesen "blinden Fleck" im Stadtzentrum wählten Freudmann und Gülcü als Thema ihrer Diplomarbeit an der Akademie der bildenden Künste Wien. Gemeinsam arbeiteten sie mit Künstlern und Interessierten, wie Co-Autor Lorenz Aggermann, an ihrem "Reiseführer in eine Elendssiedlung".

Ohne "Zigeuner-Romantik", sondern unerwünscht von misstrauischen Anrainern und der Stadtverwaltung, hat sich seit 1983 eine Siedlung von Menschen entwickelt, die sonst keine Heimat gefunden haben. Weder in Österreich, Deutschland noch im Kosovo: Aus den verschiedensten Gegenden sind Roma nach Belgrad gezogen, die ihren Lebensunterhalt nun mit Hilfsarbeiten oder Altstoffsammeln, etwa von Karton, bestreiten.

Derzeit gibt es geschätzte 150 solcher Siedlungen in Belgrad. Verbindungen zur dortigen Bevölkerung bestehen kaum und sind oft geprägt von Vorurteilen, dass Roma "faul, dumm, primitiv, hinterhältig und verlogen" seien. Diese falschen, pauschalierenden Bilder lehnen die Autoren ebenso ab wie die verkitschte Idee einer "Romantik der Wilden".

Ihr Buch beschreibt in Kapiteln wie "Essen und Trinken", "Wohnen" und "Gesundheit" die Probleme im Leben der Gazela-Bewohner: Etwa gewalttätige Übergriffe gegen Roma, die keine Seltenheit sind. Und die Täter müssen kaum Konsequenzen seitens der Behörden befürchten. Fehlende Versorgung mit Wasser und Strom sind ebenfalls Alltagsprobleme in der Gazela. Die Autoren bieten bewusst keine Patentlösung: "Das Buch ist mehr eine Dokumentation und dazu da, fehlendes Wissen zu vermitteln", sagt Gülcü.

Spießrutenlauf

Von serbischen Politikern werden die aktuellen Umsiedlungspläne der Roma-Gemeinde als populistische Munition für Wahlkämpfe verwendet. Die Stadtverwaltung agiert nur verhalten: "Ein Gespräch über Verbesserungen der Lebensumstände könnte einer Legalisierung gleich kommen", erklärt Gülcü. Bereits 2005 hätte die Gazela umgesiedelt werden sollen, doch Bürgerinitiativen protestierten gegen die Ansiedlung der Roma in ihrer Nachbarschaft.

Was die Roma-Familien selbst fordern, hat für viele Politiker durch die fehlende Lobby kaum Gewicht. So wurde 2005 eine "Dekade zur Integration der Roma" ausgerufen. Doch bereits der Schulbesuch für die Kinder der Gazela gestaltet sich als "Spießrutenlauf", wie es Gülcü formuliert. Die Kinder sind stigmatisiert, wenn sie mit dreckverschmierten Schuhen in die Klasse kommen und als Angehörige der Roma-Minderheit identifiziert werden. Mobbing und Außenseitertum sind geradezu vorprogrammiert. In den meisten Fällen ist die Chance auf normale Schulbildung ohnehin von Anfang an verstellt, denn eingeschulte Kinder fehlen als Arbeitskräfte beim Broterwerb.

Das Ziel der Diplomanden war es, Bewusstsein zu schaffen "und eine Grundlage für weitere humanitäre oder kulturelle Projekte zu bieten". Den Bewohnern erklärten Freudmann und Gülcü, das Buch solle "dazu führen, dass Leute in die Siedlung kommen, es sich anschauen, Kontakte aufnehmen". Derzeit suchen sie nach einem Verleger, der das Buch publiziert. Ihre Leser sollen angeregt werden, sich tiefer mit der Gazela zu befassen, erklärt Freudmann.

Denn für die lokale oder europäische Öffentlichkeit ist die Gazela kein dringliches Thema. "Viele Roma-NGOs beschäftigen sich eher mit Klientel die 'gesettleter' ist", meint Gülcü. Und westliche Hilfsorganisationen scheitern oft an ihrer schematisierten Herangehensweise und am Unwissen über die sozialen Strukturen. Aggermann fixiert das Problem: "Man sieht immer nur das Elend, aber bedenkt nie, dass es gewachsene Strukturen sind - sowohl ökonomisch als auch sozial." (Georg Horvath, Romana Riegler/DER STANDARD Printausgabe, 2. Oktober 2007)