Je näher die Weihnachtszeit herandräut, desto enger wird's. Und zwar buchstäblich. Dann wird's dicht auf den Gehsteigen von Wien. Dabei ist das schon längst kein Advent-Phänomen mehr: das Drängeln, das Rempeln und vor allem das Nicht-ausweichen-Können auf dem Gehsteig. Der Großstadtdschungel wird immer mehr zum Revier von Platzhirschen. Es mag eine persönliche Befindlichkeit sein - oder zunehmende eigene Sturheit. Aber man begegnet ihm immer öfter, dem "Jetzt komm' ich"-Gehabe der Trottoir-Trampel. Wobei sich bei diesem unbewussten Ausloten des Rechts der Stärkeren bereits unterschiedliche Gattungen entwickelt haben.
  • Mann gegen Mann: Der einfachste Konflikt, den man am leichtesten vermeiden kann: Kommt ein Passant entgegen und schaltet auf stur, weicht man halt einfach aus. Sonst wär' man ja selbst der Trampel. Das ganze ist natürlich geschlechtsneutral zu lesen. Ein Beispiel: Donnerstagabend am fast Menschenleeren Minoritenplatz. Die Wege zweier Frauen kreuzen sich. Eine hält gerade noch inne, erwischt aber den Schuh der Kontrahentin. "Ein Witz, dass man nicht ausweichen kann", empört sich die nun einseitig Schuhlose. Die andere lacht: "Das gleiche gilt für Sie."

  • Die Überholer: Sie sind diejenigen, die es ihrer Ansicht nach als Einzige eilig haben. Die überholen die Brodler und Schlendriane vor ihnen - und pfeifen sich nichts um etwaige Entgegenkommende. Die adäquateste Reaktion: keine Gnade.

  • Pärchen und Kleingruppen: Wozu ein Gespräch kurz unterbrechen - nur weil grad jemand anderer daherkommt? Die beste Gegenmaßnahme: kurz stehenbleiben und den Pulk anrennen lassen. Eine mögliche Antwort bei der unausweichlichen Diskussion: "Soll ich wegen euch vors nächste Auto hupfen?" Bei Pärchen, die nur ihr junges Glück wahrnehmen, kann man Gnade walten lassen.

  • Touristen- und Großgruppen: Das ist jene Form der Begegnung, bei der Höflichkeit oder Respekt gegenüber der Umwelt keine Chance mehr haben - weil das Stärkegefühl des Rudelbewusstseins dazukommt. Bei Touristen hilft dann ohnehin nur noch die Sprache, die weltweit verstanden wird: Schulter vor und durch. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD Printausgabe, 3./4.11.2007)