Der spanische Richter Javier Gómez Bermúdez hat Wort gehalten. Am Ende der Hauptverhandlung werde die Öffentlichkeit die Wahrheit über die 28 Angeklagten wissen, hieß es zu Beginn des Verfahrens aus seinem Hause. Das ist mit dem Urteil von gestern eingetreten.

Allerdings warnte die gleiche Quelle auch davor zu glauben, dies sei gleichbedeutend mit der ganzen Wahrheit über die Anschläge auf die Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004. Auch das hat sich erfüllt. Mit dem Freispruch für Osman Rabei al Sayed und den geringen Strafen für weitere Hauptangeklagten bleiben die Hintermänner weiterhin im Dunkeln. Es ist davon auszugehen, dass neue Untersuchungen nötig sein werden, um den gesamten terroristischen Komplex aufzudecken.

Ermittler und Staatsanwaltschaft haben nicht ordentlich gearbeitet. Es wäre der – durch die Anschläge mit 192 Toten schwer getroffenen – spanischen Gesellschaft zu wünschen gewesen, dass auch die Hintergründe aufgeklärt worden wären. Dies hätte geholfen, Wunden zum Verheilen zu bringen. Dennoch habender Richter Gómez Bermúdez und seine Beisitzer gute Arbeit geleistet. Trotz des ungeheuren Drucks seitens der Regierung, der Opposition und der Medien, haben sie Recht gesprochen und kein Gefälligkeitsurteil gefällt. Der Irakkrieg als Grund für den Anschlag – wie ihn Regierung immer wieder betont – ist im Urteil ebenso wenig erwähnt wie eine Al-Kaida-Verbindung.

Gleichzeitig hat das Urteil eine der wichtigsten Verschwörungstheorien der Opposition widerlegt. Es gab keine Verbindung der Islamistenzelle zur baskischen Separatistenorganisation ETA. Der politische Streit zwischen Regierung und Opposition wird dennoch weitergehen. Der Umstand, dass keine Hintermänner gefunden wurden, ist eine Einladung für neue Debatten. Und Spaniens Politiker haben in der Vergangenheit nichts unversucht gelassen, um die Anschläge gegen den politischen Gegner zu nutzen. (Reiner Wandler, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2007)