STANDARD: Herr Oz, sind Sie es müde, über Israel befragt zu werden, statt über Ihre Bücher?

Oz: Nein, mir ist bewusst, dass Israel ein Thema von weltweitem Interesse ist. Was ich nicht mag, ist, wenn Leute mich zu meinen Büchern so befragen, als wären sie nichts als eine Manifestation von politischen Statements.

STANDARD: Sie sagen, es geht beim Nahostkonflikt nicht um Missverständnisse.

Oz: Ja, in Europa nimmt man an, jedem Konflikt liege ein Missverständnis zugrunde. Ein bisschen Gruppentherapie und Familienberatung, und jeder liebt jeden und ist glücklich. Aber im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern geht es ganz real darum, wem dieses Land gehört. Sie können zwei Männern, die dieselbe Frau lieben, nicht sagen, trinkt einen Kaffee miteinander, und alles ist geklärt. Das ist ein handfestes Problem, es sollte nicht gelöst werden, indem man das gegenseitige Verständnis verbessert, sondern durch einen Kompromiss. Ich bin sehr für bilaterale Treffen, Schulpartnerschaften, für das Lesen der jeweils anderen Literatur, aber das ist kein Ersatz für einen lebbaren Kompromiss. Religiöse Fanatiker beider Seiten versuchen diesen Konflikt zu einem Heiligen Krieg zu machen. Ich hoffe, das wird ihnen nie gelingen. Es ist kein Heiliger Krieg, tatsächlich ist es ein Streit um Immobilien.

STANDARD: Gibt es in Israel nach der Ermordung von Itzak Rabin die Hoffnung auf einen neuen charismatischen Führer, der das Land rettet?

Oz: Ich glaube nicht an Retter, aber ich glaube an mutige Führer. Zurzeit fällt mir kein Kandidat dafür ein. Doch es liegt in der Natur des Führertums, sich nie im Voraus zu offenbaren. Wir hätten nie gedacht, dass es Charles de Gaulle sein wird, der Frankreich aus Nordafrika herausholt, dass Gorbatschow den Kommunismus erledigt. So wird es vielleicht Führer geben, sowohl in Israel als auch in Palästina, die es schaffen werden, den Frieden zu verwirklichen, beide Völker sind dafür bereit.

STANDARD: Wie steht es heute um die Werte des Zionismus?

Oz: Es gibt viele Arten von Zionismus, vom Humanismus Martin Bubers bis hin zu einem sehr militanten, chauvinistischen Flügel. Die humanistische Version ist immer noch lebendig, aber sie ist damals wie heute die einer Minderheit. Ich glaube, jeder israelische Jude sollte in der Schule Arabisch lernen müssen und jeder israelische Araber Hebräisch. Ich würde das als Pflichtfach einführen.

STANDARD: In "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" erzählen Sie, dass sie als Kind entweder ein Buch werden wollten oder Feuerwehrmann. Eine seltsame Alternative.

Oz: Ein Buch wollte ich werden, um in Sicherheit zu sein. Ich war Kind in einer sehr gefährlichen Welt. Wo die Leute einerseits vom Holocaust sprachen, anderseits von einem anderen drohenden Holocaust in Jerusalem. So dachte ich, es wäre am sichersten, als Buch zu überleben. Ein Exemplar von mir würde in einer Bibliothek überleben. Feuerwehrmann wollte ich werden, um den Mädchen zu imponieren. Ein Schriftsteller zu sein ist das Zweitbeste.

STANDARD: In "So fangen die Geschichten an" sagen Sie, jede Geschichte ähnle ein wenig Tschechows "Die Dame mit dem Hündchen"; sie wirbt um den Leser wie dort der Held um das Hündchen, und damit um die Dame.

Oz: Ja, in der Literatur geht es um Verführung. Niemand kann uns zwingen, ein Buch zu lesen. Wir lesen, weil wir verführt werden. Es ist der Beginn jedes Romans, der das bewerkstelligt. Mit einer Art Vertrag zwischen Autor und Leser, der die Spielregeln etabliert. Lass uns tanzen! Hier auf den ersten beiden Seiten sage ich dir die Tanzschritte.

STANDARD: Sie behaupten darin, Ihre Großmutter sei an ihrer Sauberkeit gestorben. Man könnte aber auch sagen, sie starb an einem Herzinfarkt. Beides sei gleich wahr ...

Oz: Wahrheit hat viele Dimensionen. In der Sterbeurkunde meiner Großmutter steht als Todesursache "Herzinfarkt". Aber es wäre genauso wahr zu sagen, sie starb an Sauberkeit. Ich könnte auch sagen: an ihrer Aversion gegen den Nahen Osten, ihrer Angst davor. Würde ich sagen, sie starb, weil sie heimlich fasziniert war vom Orient und sich vor ihrem eigenen Fasziniertsein fürchtete, wäre das auch wahr. Würde ich weiter sagen, sie hat sich selbst übel genommen, dass sie Angst vor ihrem Fasziniertsein hatte, eine Angst, die sie dazu brachte, täglich drei brennheiße Bäder zu nehmen und eines Tages in der Wanne an einem Herzinfarkt zu sterben - wäre auch das die Wahrheit. Wo ist die Grenze zwischen Tatsache und Fiktion? Zwischen Tragödie und Komödie? In unserem Herzen ist genug Platz für beides. Literatur zu lesen heißt die Realität durch bunte Scheiben wahrzunehmen. (Interview: Daniela Strigl/DER STANDARD, Printausgabe, 29.10.2007)

Von Liebe und Finsternis
"Literatur im Nebel": Amos Oz als begnadeter Prediger

Heidenreichstein - 500 Leute sitzen in einer gemäßigt rustikalen Halle, lauschen andächtig, lachen herzlich, klatschen frenetisch. Sicher, hier an den Waldviertler Teichen schöpft man aus dem Vollen. Despektierlich gesagt und überdies physiognomisch unzutreffend: Man hat sich die fettesten Karpfen der Schauspielzunft geangelt, um Literatur unters Volk zu bringen - Elisabeth Orth, Senta Berger, Andrea Eckert, zwar nicht Peter Simonischek, der ausfiel, aber dafür Karl Markovics, der auf das Fulminanteste einsprang. Doch die zweite Auflage von Literatur im Nebel (im Vorjahr war Salman Rushdie Ehrengast) war kein Mimen-Spektakel - man ehrte den Autor Amos Oz, wie man ihn am besten ehrt: durch sein Werk. An zwei Abenden waren, jeweils fast fünf Stunden, seine Texte zu hören, über den Nahostkonflikt, über Familien- und Liebesdinge, und die Schauspiel-Profis waren nur Stimmen unter anderen im Konzert. Da las, nach einem prägnanten, persönlich getönten Vortrag von Doron Rabinovici über "sein" Israel, Gert Jonke höchst eindringlich Passagen aus Oz' autobiografischer Geschichte von Liebe und Finsternis, da wechselten sich neun heimische Schreibende von Sabine Gruber bis Peter Turrini mit Amos Oz selbst ab im Vortrag des Essays Wie man Fanatiker kuriert. Wie? Zum Beispiel, indem man ihnen das Zählen beibringt (sie können nur bis eins zählen), ihre Fantasie anregt (was die schrecklichen Folgen ihrer Ideen betrifft) oder ihnen ein Fünkchen Humor einpflanzt. Oder mit Shakespeare und Kafka. Aber daran glaubt Oz, der nüchterne Friedensapostel, der selbst einmal ein Fanatiker war, nicht wirklich.

Heute wirbt er für die notwendige "Scheidung" von Israelis und Palästinensern in zwei Staaten und erweist sich als ein begnadeter Samstags- und Sonntagsprediger, dialektisch, ungeniert belehrend, klar und witzig. So dient Literatur im Nebel der Klärung des Kopfes. Ein kleiner Regiefehler im stimmigen Ablauf: dass manches, was Amos Oz im Gespräch mit Ben Segenreich über israelische Politik an Geschichten und Bonmots zum Besten gegeben hatte, dann im Lesemarathon noch einmal vorkam.

Dennoch: ein schönes historisches Kontrastprogramm zur nahen Burg Rappottenstein, wo einst der Gauleiter von Niederdonau den Reichsdichter Josef Weinheber als "artist in residence" beherbergte. (ds /DER STANDARD, Printausgabe, 29.10.2007)