Vera Nemirova will vermitteln statt provozieren.

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Wien - Eines müssen ihr auch kritische Stimmen lassen: Gleichgültig kann man gegenüber den Arbeiten von Vera Nemirova nicht bleiben. Die bulgarische Regisseurin vermag zu bewegen, und das heißt in der traditionsbestimmten Welt des Musiktheaters fast zwangsläufig auch: zu polarisieren. So war es, als sie vor fünf Jahren Gräfin Mariza an der Volksoper herausbrachte und die Geschichte zwei Akte lang mit einem Hauch von melancholischer Poesie erzählte. Um dann das operettentypische Happyend als Fernsehshow zu inszenieren, wo das Publikum eine Waschmaschine gewinnen konnte und das Liebespaar sich selbst. Und in der Don Carlos-Inszenierung ihres Lehrers Peter Konwitschny gestaltete sie das Autodafé als Medientheater mit Bildschirmen im ganzen Theatergebäude. Ansonsten zeigte die zunehmend gefragte Regisseurin ihre Opern-Interpretationen auch in Graz, in deutschen Städten, außerdem in Luzern und Riga; für die Oper Frankfurt wird ein neuer wagnerscher Ring entstehen.

Der Versuch, das sozialkritische Potenzial von Kunst aus dem Blickwinkel der Erniedrigten aufzuzeigen, bildet eine Konstante in ihrer Arbeit. Oft kommt es auch zu einem kurzen Ausstieg aus dem Stück, zu einem Aufbrechen der Theater-Illusion, durchaus im Sinne Brechts, vermittelt durch Konwitschny und Ruth Berghaus, bei der sie zuerst studierte. Inzwischen habe hier aber ein "Abnabelungsprozess" stattgefunden, sagt die Mitdreißigerin im Standard-Gespräch, die versichert, dass es ihr keineswegs darum gehe, zu provozieren. Viel eher sieht sie ihre Aufgabe darin, "zwischen Werk, Autor und Zuschauern zu vermitteln", um zu einer Interpretation der Stücke zu gelangen.

Das Sichtbarmachen verborgener Zusammenhänge beinhalte für sie in Tschaikowskys Pique Dame die Darstellung einer historischen Umbruchssituation, die mit der aktuellen Situation durchaus vergleichbar sei: "Menschen sehnen sich nach Vergangenem und betreiben deshalb Restauration." Ob das Wiener Publikum Nemirovas Ideen diesmal zu goutieren weiß, wird sich in der Premiere am kommenden Sonntag zeigen. Zu wünschen wäre es allen Beteiligten. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.10.2007)