Christian Fiala ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie ärztlicher Leiter des Gynmed Ambulatoriums für Familienplanung und Schwangerschaftsabbruch in Wien und Salzburg. Sein Schwerpunkt ist die Verbesserung der Reproduktiven Gesundheit von Frauen.

Impfen gegen Krebs - Wirklichkeit oder Wunschtraum?

Foto: privat
derStandard.at: Seit ein paar Wochen gibt es einen zweiten Impfstoff gegen Gebährmutterhalskrebs. Können Sie die Impfung empfehlen?

Fiala: Die grundsätzlichen Fragen zur Sinnhaftigkeit der HPV Impfung sind noch nicht beantwortet: schützt die Impfung wirklich vor Gebärmutterhalskrebs, wenn ja in welchem Ausmaß und wie groß ist das Risiko von langfristigen Nebenwirkungen. Derzeit sprechen die Fakten dafür, die Vorsorgeuntersuchungen (PAP/Muttermundabstrich) regelmäßig durchzuführen und mit der Impfung abzuwarten, bis bessere Daten vorliegen.

derStandard.at: Gebärmutterhalskrebs wird zu rund 75 Prozent durch die Humanen Papillomavirenstämme (HPV) 16 und 18 verursacht. Wie viel Prozent der Männer und Frauen sind oder werden in Europa durchschnittlich im Laufe ihres Lebens mit den Viren infiziert?

Fiala: Gebärmutterhalskrebs ist mit HPV "assoziiert". Ob er auch durch HPV verursacht wird ist noch nicht klar. Dies ist einer der Gründe mit der Impfung abzuwarten, bis bessere Daten vorliegen.

Eine Studie aus Deutschland belegt bei 20 Prozent der untersuchten Frauen eine HPV Infektion, allerdings hatten nur 5 Prozent der Frauen eine Infektion mit dem HPV Virusstamm 16, der als High-risk-Typ eingestuft wird.

In einer Untersuchung aus den USA fanden sich die HPV Stämme 16 und 18, auf die der Impfstoff "Gardasil" u.a. abzielt nur bei einem sehr geringen Prozentsatz der Frauen: Typ 16 bei 1,5 Prozent und Typ 18 bei lediglich 0,8 Prozent der untersuchten Frauen. In Österreich liegen keine Daten zum Vorkommen von HPV-Infektionen bei Frauen/Mädchen vor.

derStandard.at: Kritische Stimmen sagen, dass es bis jetzt keine publizierten Phase III Studien (zum klinischen Nutzen), also klinische Studien gibt. Ohne diese werden Medikamente aber kaum zugelassen. Warum dann die HPV-Impfstoffe? Ist die Studienlage ausreichend?

Fiala: Die Impfung wurde mit beispiellosem Werbeaufwand eingeführt. Dabei kamen bisher kritische Aspekte viel zu kurz. So fehlen zum Beispiel Studien darüber ob auch tatsächlich die Häufigkeit von Krebs verringert wird, oder lediglich die Häufigkeit von Virusinfektionen.

derStandard.at: Gebärmutterhalskrebs hat gegenüber anderer Krebsarten in den Industrieländern eine geringe Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate. Durch jährliche Vorsorgeuntersuchungen (PAP Abstrich) und durch die häufigere Verwendung von Kondomen (HIV, HepatitisC) ist zusätzlich ein Rückgang zu beobachten. Warum reichen diese einfachen und sicheren präventiven Maßnahmen nicht aus?

Fiala: Die Häufigkeit ist in den letzten 20 Jahren sehr stark zurückgegangen. Das Risiko für eine Frau, vor dem 75. Lebensjahr an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken liegt derzeit bei einem Prozent und könnte noch weiter reduziert werden, wenn die bekannten Früherkennungsmaßnahmen mehr in Anspruch genommen werden.

Auch die Vorbeugung durch Änderungen des Lebensstils sollte gefördert werden, da insbesondere Rauchen das Risiko für Gebärmutterhalskrebs verdoppelt. Es ist deshalb bedauerlich, dass die Einschränkung von Rauchen auf dermaßen viele gesellschaftliche Widerstände stößt, wie die Diskussion über Rauchverbot in Lokalen gezeigt hat. Deshalb hat die Impfung keine Priorität im Gesundheitswesen.

derStandard.at: Sollte jedes Mädchen bis zum 26. Lebensjahr geimpft werden?

Fiala: Eine kritische Beurteilung der Fakten führt zu der Empfehlung abzuwarten bis bessere Daten vorliegen. Eine generelle Empfehlung für alle Mädchen ist derzeit nicht gerechtfertigt. Es ist jedoch wichtig interessierten Frauen und Mädchen Entscheidungshilfen in Form von sachlicher Aufklärung über Risiko und Nutzen der Impfung zu geben.

derStandard.at: Sollten auch Buben, oder Männer geimpft werden?

Fiala: Hier liegen noch viel weniger Daten vor. Der gesundheitliche Nutzen einer generellen Durchimpfung bestimmter Jahrgänge ist wissenschaftlich nicht belegt.

derStandard.at: Warum ist eine Aufnahme ins Kinderimpfprogramm (kostenlose Impfung aller Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren) sinnvoll?

Fiala: Dies ist derzeit, wegen der unvollständigen Datenlage nicht sinnvoll. Angesichts der hohen Kosten stellt sich auch die Frage, ob mit derart großem Aufwand nicht bessere Initiativen gefördert werden sollen. Ferner heilt eine Infektion mit HPV in den allermeisten Fällen ohne Therapie.

derStandard.at: Was spricht dagegen Langzeitstudien abzuwarten, bevor eine Durchimpfung aller Mädchen gefordert wird?

Fiala: Es gibt keinen Grund für ein schnelles Handeln. Die Häufigkeit des Gebärmutterhalskrebses ist stark zurückgegangen und wir haben eine bewährte Früherkennungsmaßnahme, den Muttermundabstrich, der noch häufiger angewendet werden sollte. Es gibt in der Medizin genügend Beispiele wo eine Maßnahme verfrüht eingeführt wurde und sich die negativen Auswirkungen erst später gezeigt haben. Es gibt keinen Grund hier ein Risiko einzugehen.

derStandard.at: Macht die Impfung bei Frauen nach dem ersten Geschlechtsverkehr Sinn?

Fiala: Die klinische Wirksamkeit der Impfungen bei Frauen über 26 Jahre ist noch nicht erwiesen. Die veröffentlichten Daten lassen die Impfung bei bereits sexuell aktiven Frauen/Mädchen wenig sinnvoll erscheinen.

derStandard.at: Die Kosten für den Impfstoff sind relativ hoch. Der Nutzen der Impfung wird vor allem in der dritten Welt gesehen. Geht es da nicht offensichtlich um verkaufsfördernde Maßnahmen der Herstellerseite in den Industriestaaten?

Fiala: Die Kosten für die Impfung stehen in keinen vernünftigem Verhältnis zum unsicheren Nutzen und der geringen Häufigkeit des Gebärmutterhalskrebs. Dies gilt sowohl für die Industrieländer, als auch für Entwicklungsländer.

So sind die Menschen in Afrika so arm, das nur etwa 60 Prozent aller Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, mit den entsprechend großen Gesundheitsproblemen. Folglich hat eine HPV Impfung dort ebenfalls keine Priorität. (Das Interview führte Andrea Niemann, derStandard.at, 24.10.2007)