Blixa Bargeld (Zweiter von links) und die Einstürzenden Neubauten.

Foto: www.neubauten.org
Wien – Dass sich die Einstürzenden Neubauten über die Jahre und Jahrzehnte als jene musikalische Größe etabliert haben, mit der man allein aufgrund der Verballhornung in Schlagzeilen des deutschsprachigen Zeitungswesens zwischen Stadtplanung ("Absinkende Altbauten") und Problemen des frühen Postwesens in Zusammenhang mit lustigem Kinderpunk ("Abstürzende Brieftauben") Bände füllen könnte, macht deren Galionsfigur skeptisch. Andererseits fühlt sich der 48-jährige Christian Emmerich alias Blixa Bargeld natürlich geehrt.

Blixa Bargeld im Interview: "Wenn es sich schon nicht in Verkaufszahlen bemerkbar macht, so fühlt man sich nach all der Zeit doch zumindest insofern ,erkannt‘, als man es sich mit dem Googeln seines Bandnamens inzwischen als Textproduzent zwischendurch leicht machen könnte. All die Wortspiele, die wir verursachen, könnte man schnell und leicht zu einem eigenen Songtext verarbeiten. Was natürlich unerheblicher Quatsch wäre!"

Mittlerweile lebt der selbstverständlich die Funktion "Google Alert" gebucht habende Bargeld, der einst die deutsche Sprache wie in dieser Vorbildwirkung sonst nur noch Ton Steine Scherben, Kraftwerk, Fehlfarben oder später Blumfeld stimmig und gehaltvoll für die populäre Musik erschloss, seit sieben Jahren gemeinsam mit seiner Frau, der auch die Homepage www.neubauten.org betreuenden US-chinesischen Webdesignerin Erin Zhu, die meiste Zeit in Peking: "Ich habe jetzt endlich einen Kurs in Mandarin belegt. Obwohl ich grundsätzlich faul bin, ist es mir einfach zu dumm geworden, von den Taxifahrern immer an der falschen Adresse abgesetzt zu werden."

Für Selbstironie scheint es also auch bei einer der grimmigsten und lange Zeit vom Image her unleidlichsten Figuren der deutschen Musikszene nie zu spät zu sein.

Tintenfischrisotto

Nützen wir die Gunst der Stunde und reden also über dieses eine, selbstverständlich ganz im Berliner Dienstschwarz gehaltene Rezept, das Bargeld 1995 in Alfred Bioleks ARD-Fernsehküche versenkte: Risotto al nero di seppia. Da kam der Tintenfisch ja wohl um eine halbe Stunde zu früh in den Topf und wurde zu Gummi?

Bargeld: "Jaaa ... Sie haben leider recht. Das war damals wohl nix. Inzwischen kann ich aber tatsächlich kochen! Aber lassen Sie uns doch lieber über das neue Album sprechen. Nein, kurzer Einschub noch: Auf den Märkten in Peking ist die Fischqualität natürlich erheblich besser!"

Bargeld betrachtet seine Rolle als einstiges Aushängeschild eines bis heute nur selten in dieser Intensität entwickelten, spezifisch deutschen Sounds, den er von 1983 bis 2003 auch in der Band von Nick Cave als exzeptioneller Krawallgitarrist und Rappelkopf beisteuerte, mit der Gelassenheit des nicht unbedingt versöhnten, aber wissenden Alters. Die früher auch durchaus körperlich ruinösen und heute in ungleich gefälligerer Form von kommerziell erfolgreicheren Modellen wie Nine Inch Nails bis hin zu Marilyn Manson nachgeahmten "Industrialrock"-Brutalitäten von richtungsweisenden Arbeiten wie Kollaps (1981), Zeichnungen Des Patienten O.T. (1983) oder Halber Mensch (1985) – sie haben schließlich ihre Spuren hinterlassen.

Insgesamt zwölf zum jeweiligen Konzert exakt rückdatierbare Narben erinnern an die frühen, exzessiven Jahre. Musik für die Notaufnahme.

Bargeld: "Heute würde das in unserem Alter wohl etwas lächerlich wirken, wenn wir auf der Bühne immer noch wie 20-Jährige schreien und auf Metallplatten oder brennende Ölfässer einschlagen würden. Und es wäre auch schlichtweg langweilig. Kann man ja alles auf YouTube nachprüfen. Deshalb ist das gewalttätige, physische Element unserer Musik mit den Jahren einer verfeinerten, allerdings keineswegs oberflächlicheren Klangforschung gewichen." Keine Frage. Mit den zehn erstmals nach über 25 Jahren beim inzwischen an die Industrie verkauften britischen Independent-Label Mute nun im Eigenverlag veröffentlichten Stücken von Alles Wieder Offen (Vertrieb: Hoanzl) gelingt es Bargeld und seinen im Gegensatz zum Frontmann noch immer in Berlin ansässigen Kollegen tatsächlich auch erstmals wieder seit Jahren, ein durch und durch überzeugendes Album vorzulegen.

Bargeld: "Nachdem wir uns jahrelang ein wenig daran vergeudet hatten, uns über jeweils einem neuen Album zugrundeliegenden thematischen oder textlichen Konzepten im wahrsten Wortsinn in Songnotizen und akustischen Bauplänen zu verzetteln, gab es dieses Mal keinen Masterplan. Insofern musste ich mich auch erstmals nicht hinter einem für ein Konzept notwendigen Autoren-Ich verstecken. Was man auf Alles Wieder Offen hört, ist also tatsächlich Blixa Bargeld! Und der Albumtitel das nicht vorhandene Programm. Wie ich es immer bevorzugt habe, Songs als Probleme anzusehen, die ihrer Lösung harren. Kunst ist das Dokument des Verschwindens einer Fragestellung."

Die ehrliche Kunstfigur Bargeld nähert sich 2007 mitunter ungewohnt melodisch, anrührend, beinahe sanft und beinahe unprätentiös in neuen Liedern wie Nagorny Karabach oder Ich Hatte Ein Wort einer Form offenen Songwritings. Der mag zwar das alte Bilderstürmerische mitunter fehlen. In maschinell-rhythmischen Lärmschleifen wie Let’s Do It A Dada wird dies allerdings von den Neubauten auch gleichzeitig wieder unwirsch widerlegt.

Das neue Album wurde übrigens von Subskribienten des beispielhaften Online-Projekts Musterhaus finanziert. Musik auf Bestellung. Bargeld sieht dem prognostizierten Ende der Plattenindustrie über illegale Downloads aber mit gemischten Gefühlen entgegen: "Ich wohne in Peking. Wie soll ich sonst zu der Musik kommen, die mich interessiert?! Wenn die Sache mit der CD-Eigenfinanzierung jetzt aber nicht klappt, wird es die Neubauten in dieser Form nicht länger geben."

Skepsis ist angebracht. Wie Bargeld noch anmerkt, sei ein weiteres Album für die alte Plattenfirma Mute/EMI längst eingespielt und werde 2008 regulär veröffentlicht werden. Ein weiteres Problem harrt seiner Lösung. (Cristian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 24.10.2007)