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Wenn Rettungsanker rosten: Der mit dem VP-Logo treibt mittlerweile herrenlos durch die Weiten des Internet, die letze Eintragung bei SOS datiert vom Mai 2007

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Der Blick auf den TV-Schirm erfüllt Franz Morak mit großer Sorge.

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Es steht außer Frage, dass Politiker Medien meist durch eine parteipolitisch gefärbte Brille betrachten. Das ist nichts Besonderes und auch nicht überraschend. Auch Journalisten betrachten Politiker ja oft durch eine gefärbte Brille. Politische Werte entscheiden eben über politische Bewertungen.

Trotzdem ist es notwendig, diese Brille dann und wann abzunehmen. Wer in Zeiten wie diesen auf den ORF schaut, der sollte das tun. Das gilt für Politiker aller Couleurs - und es verfestigt sich in zahlreichen Gesprächen der Eindruck, dass der Blick von immer mehr Politikern, aber auch von Journalisten, auf den ORF ein anderer, ein sehr ernster geworden ist.

Es geht nicht mehr (nur) darum, ob der Politiker X um 20 Sekunden länger im Bild war, als der Politiker Y. Es geht nicht mehr (nur) darum, ob Meinung und Nachricht in der Berichterstattung ausreichend getrennt sind. Es geht nicht mehr (nur) darum, ob der ORF-Generaldirektor bei einer Veranstaltung einer Partei deren Forderungen akklamiert. Es geht darum, auf welchen Weg der ORF derzeit geführt wird.

  • Seit der gescheiterten "größten Programmreform" im heurigen April hat der ORF erheblich an Publikumsakzeptanz verloren. Die öffentlich-rechtliche Mindestflughöhe von 40% Tagesmarktanteil wurde seither laufend unterboten, die Tagesreichweiten rasselten hinunter. Die Reparatur der Reform hat daran nichts geändert. Das Publikum will den "neuen" ORF nicht mehr so wie vorher. 28 Prozent meinen laut OGM-Umfrage, dass die Qualität des ORF-Programms seit dem Reformstart nachgelassen hat. Bei dieser Frage geht es nicht um Quotenfetischismus. Es geht darum, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine gewisse Grundakzeptanz für seine Legitimation haben muss. Aber es gibt keine Strategie, wie der ORF wieder an Akzeptanz gewinnen will.
  • Entgegen der gelegentlich öffentlich-rechtlichen Rhetorik der Geschäftsführung herrscht mittlerweile im ORF ein brutaler Quotenkurs. Was ORF 1 insbesondere am Montag noch mit einem öffentlich-rechtlichen Vollprogramm zu tun hat, kann niemand nachvollziehen. Wer hier zusieht, fragt zu Recht, mit welcher Legitimation sich der ORF als öffentlich-rechtlich bezeichnet und dafür Gebühren kassiert. Amerikanische Kaufserien werden rauf und runter gespielt, durchbrochen von wenigen Minuten Information. Aus dem vermeintlichen "Info-Magazin" namens "Wie bitte?" wurde eine Fortsetzung der Barbara-Karlich-Show mit anderen Mitteln. Und parallel zur ZiB 1 auf ORF 2 wird die Kaufserie "Malcolm" nach dem desaströsen Untergang von "Mitten im Achten" zum dritten Mal wiederholt.

    Allein: Die rückgratlose Anpassung an die Programmgestaltung der privaten Anbieter sorgt nicht für mehr Publikumserfolg - im Gegenteil.

  • Die Information, das unverzichtbare Standbein des öffentlich-rechtlichen ORF, unterliegt mittlerweile auch inhaltlich einer befremdlichen Entwicklung. Der Fall Arigona hat gezeigt: Man nimmt gewissenlos Maß am Kampagnen-Journalismus des Boulevards. Die dubiose Entstehungsgeschichte des "Arigona-Videos" und die unklare Rolle des ORF dabei , aber auch ORF-Diskussionsrunden zum Thema, wo nicht pluralistische Substanz, sondern die eindimensionale Dramaturgie von Talkshows im Vordergrund stand, geben Anlass zur Sorge. Will der ORF zur elektronischen Ausgabe der Zeitung "Österreich" werden? Wenn ja, was hat das mit öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus zu tun?

    Der ORF nimmt derzeit eine Entwicklung, die man - abseits von politisch durchschaubarem Alarmismus à la SOS ORF und FPÖ-Gebührenabschaffer Vilimsky - ernsthaft diskutieren muss. Wollen wir einen ORF, der immer stärker die Strategien der Privaten kopiert? Und das nicht nur in der Unterhaltung, sondern auch in der Information? Wollen wir einen ORF, der zunehmend kampagnisiert statt informiert? Wollen wir einen ORF, der sich seine Nachrichten selbst schafft?

    Die Zukunft des ORF kann nur in einem starken und selbstbewussten öffentlich-rechtlichen Selbstverständnis liegen. In attraktiver Unterhaltung, das heißt in österreichischen Eigenproduktionen, in erstklassiger und fundierter Information. Diese Kernkompetenzen des ORF sind seine Zukunftsversicherung in einer Medienwelt, die durch zunehmenden Wettbewerb und Innovationsdruck gekennzeichnet ist. Dass die aktuelle Geschäftsführung auf Abwegen unterwegs ist, sehen immer mehr Entscheidungsträger und Zuseher mit Sorge. Es ist Zeit für einen öffentlichen Themenschwerpunkt zur Zukunft des ORF. (Von Franz Morak, DER STANDARD; Printausgabe, 20./21.10.2007)