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Die EU-Familie erzielte in Lissabon Einigung über die Knackpunkte des Reformvertrages

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Handshale zwischen EU-Ratspräsident Jose Socrates (rechts) und EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso nach der Bekanntgabe der Einigung.

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Die Freude über die Einigung ist groß.

Lissabon - Nach monatelangem Ringen haben sich die EU-Staaten auf einen Reformvertrag verständigt und damit ein neues Fundament für die Europäische Union gelegt. "Das ist ein Sieg für Europa - mit dem neuen Vertrag kommen wir aus der Sackgasse heraus, in der wir steckten", sagte der Ministerpräsident Portugals und EU-Ratsvorsitzende Jose Socrates Freitag kurz nach ein Uhr Früh auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Lissabon. Der "Vertrag von Lissabon" soll am 13. Dezember ebendort unterzeichnet werden. Nach Ratifizierung der Mitgliedsländer wird er voraussichtlich am 1. Jänner 2009 in Kraft treten.

Reformdiskussion

Der Reformvertrag soll die Union nach der größten Erweiterung ihrer Geschichte seit 2004 von 15 auf 27 Mitgliedsländer handlungsfähiger und demokratischer machen. Mit dem Vertrag wird eine rund zehn Jahre lange Reformdiskussion abgeschlossen. Er markiert zugleich das Ende der Krise der EU, die mit dem Scheitern der Verfassung in den Volksabstimmungen Frankreichs und der Niederlande 2005 ausgebrochen war.

Ioannina-Klausel

Der Vertrag bringt neue Spielregeln für Institutionen und Entscheidungsprozesse in der EU mit sich. Um Einzelheiten wurde unter den Regierungen bis zum Schluss gerungen. Polen, das mit dem Widerstand gegen eine Verringerung seines Stimmengewichtes im Rat schon die Verhandlungen auf dem Juni-Gipfel in die Länge gezogen hatte, war nach Lissabon mit einer neuen Hürde angereist Die Regierung der Zwillingsbrüder Lech und Jaroslaw Kaczynski pochte darauf, die so genannte Ioannina-Klausel verbindlich festzulegen.

Mit diesem Instrument kann eine knapp unterlegene Minderheit über einen Mehrheitsbeschluss auf einige Monate begrenzte Nachverhandlungen durchsetzen. Die übrigen Länder wollten vermeiden, dass die Blockaderegel nur mit einer aufwändigen Vertragsänderung wieder abzuschaffen wäre. Nun wurde in einem Protokoll festgehalten, dass die Klausel einstimmig im Ministerrat geändert werden kann. "Polen hat alles erreicht, was es wollte", freute sich der polnische Präsident Lech Kaczynski trotzdem, erhält Polen doch auch den Posten eines Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof.

Neue Sitzverteilung im Parlament

Das EU-Gründungsland Italien wieder sah sich durch die geplante neue Sitzverteilung im auf 750 Sitze verkleinerten Parlament gegenüber Großbritannien und Frankreich benachteiligt. Bisher hatten alle drei nach Deutschland größten Länder 78 Mandate. Nun sollte Italien nur noch 72 Volksvertreter schicken, einen weniger als die Briten und zwei weniger als die Franzosen. Der Kompromiss: Das Parlament wird um einen Sitz für Italien aufgestockt, das Mandat des Parlamentspräsidenten wird nicht mitgezählt, und der Präsident verliert sein Stimmrecht.

EBPO

Ferner hat sich Bulgarien im Streit mit den EU-Partnern um die kyrillische Schreibweise der Gemeinschaftswährung Euro durchgesetzt. Nach Angaben von EU-Diplomaten können die Bulgaren in Zukunft die Schreibweise EBPO (gesprochen: "Evro") verwenden.

Der Vertrag enthält die wesentlichen Neuerungen des Verfassungsentwurfs. Neue Abstimmungsregeln und eine Ausweitung der Themen, die mit Mehrheit statt mit Einstimmigkeit entschieden werden, gehören ebenso dazu wie stärkere Rechte des Europäischen Parlaments und der nationalen Volksvertretungen. Ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Ratspräsident soll künftig mehr Kontinuität in die EU-Politik bringen. Der Rat bestimmt zudem als Repräsentant im Ausland einen "hohen Vertreter", der zugleich Vizepräsident der Kommission ist und die EU in der Außenpolitik mit einer Stimme sprechen lassen soll.

Gusenbauer: "Selbstbeschäftigung der Union abgeschlossen"

Der britische Premierminister Gordon Brown beruhigte seine Amtskollegen mit der erneuten Versicherung, dass er den Vertrag den britischen Wählern nicht zur Abstimmung vorlegen werde. Außer Irland, das laut Verfassung ein Referendum abhalten müsse, werde dies auch kein anderes EU-Land tun.

Die Gipfelteilnehmer freuten sich darüber, dass die Phase intensiver Selbstbeschäftigung nun hinter der EU liegt. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer etwa meinte, nun sei die "sechsjährige Selbstbeschäftigung der Union abgeschlossen", die EU könne sich in Zukunft "wieder in stärkere Ausmaß mit dem auseinander setzen, was den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich unter den Nägeln brennt". Vor dem Hintergrund der aktuellen Stimmungslage schreibe der Reformvertrag jenes Maß an Integration fest, "das derzeit erreichbar ist". Außenministerin Ursula Plassnik sagte, der neue Vertrag ermögliche es, die EU moderner zu verwalten, demokratischer zu kontrollieren, besser auf die Herausforderungen der Globalisierung zu reagieren und konkrete Resultate für die Bürger zu erzielen.

Barroso: "Historische Einigung"

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso würdigte den Gipfelbeschluss als "historische Einigung" und "große Leistung", der neue Vertrag gebe der Union "die Kraft zu handeln" und sich um die konkreten Probleme zu kümmern, die die Bürger direkt beträfen. Mit dem neuen Vertrag könne Europa beweisen, dass es in Bewegung sei, sagte Socrates. Bereits am Freitag könnten sich der EU-Gipfel konkreten Herausforderungen wie der Globalisierung stellen. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wertete die politische Einigung als "großen Erfolg", die wichtigste Errungenschaft des Reformvertrages, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzt, ist für sie kurz zusammengefasst: "Europa wird besser funktionieren." Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker begrüßte zwar die Einigung, beharrte aber darauf: "Der Verfassungsvertrag wäre besser gewesen."

Blick nach außen

Nach der Einigung auf einen neuen Grundlagenvertrag haben die EU-Staats- und Regierungschefs ihren Gipfel in Lissabon am Freitag fortgesetzt. Im Zentrum der Beratungen stehen die Herausforderungen der Globalisierung. Themen sind dabei die Krise am Finanzmarkt und die Vorbereitung der Europäischen Union auf die Welt-Klimakonferenz im Dezember in Bali. (red/APA/Reuters)