Ein "verrücktes Paar": Hermes Phettberg und Kurt Palm beim Dreh.

Foto: Fischer Film
Bei der Viennale feiert das denkwürdige Dokument seine Uraufführung.


Wien - Vor ein paar Jahren noch wäre diese Wiederbegegnung undenkbar gewesen.

Noch 2004, als das 20-jäh-rige Jubiläum von Hermes Phettbergs Nette Leit Show zu begehen war, war dies fast ausschließlich Anlass für Ausführungen darüber, dass ein ehemaliges kreatives Traumpaar nicht mehr zusammenfand:

Phettberg, damals Kult- und, wie man so schön blöd sagt, Star-Moderator, fühlte sich von Regisseur und Produzent Kurt Palm verlassen und dadurch um einen fortgesetzten Erfolg gebracht. Palm wiederum konnte plausibel darlegen, warum er sich den Wahnsinn Nette Leit Show nach drei Jahren nicht mehr antun mochte, weil: Drohende künstlerische Verwahrlosung. Und: Phettberg, zunehmend Mediendiva, war langsam aber sicher zum aufwändigen Betreuungsfall geworden. Palm: "Hätte ich weitergemacht, ich wäre irre geworden."

Und jetzt dieser Film: Hermes Phettberg, Elender. Ein liebevolles Lebensbild und Porträt eines Mannes, der nach zwei Schlaganfällen und einer nach gängigen Marktkriterien hoffnungslos zerstörten, aber dennoch ungebrochen von zahllosen Großtaten gezierten Karriere (unbedingt lesen: sein literarisches Opus magnum 100 Hennen) weiter in wilden Phantasmagorien und Weltbefunden schwelgt.

Couchgespräche

Erschöpft, abgemagert, aber unverändert, geradezu peinigend wahrhaftig und mit großem Witz sitzt der "Elende" da auf der alten Couch in seiner legendären Lebensarchivwohnung in der Wiener Grabnergasse. Neben ihm: Palm, der das Räsonnement Phettbergs liebevoll mit mitunter allzu vielen Zwischenfragen zu steuern sucht.

Und so entsteht, begleitet von dokumentarischen Aufnahmen früherer Performances das Porträt eines monomanischen, zugleich grundgütigen Selbstvergeuders. Eines weisen Narren, der noch so viel geben könnte mit seiner Fähigkeit, Fragen zu stellen und vor allem zuzuhören, wenn ihn zum Beispiel der ORF nur ließe ...

der Standard ist übrigens ein bisschen "mitschuld" daran, dass es zu diesem Film kommen konnte: Als im Herbst 2006 im Rahmen der Präsentationen zur Standard-DVD-Edition Der österreichische Film heimische Filmemacher (darunter Kurt Palm) frühe Werke im Wiener Metro Kino zeigten, da sollte eigentlich der "elende" Phettberg die nachfolgenden Gespräche moderieren. Dann kamen die Schlaganfälle dazwischen - und damit Kurt Palms Idee, seinen einstigen Wegbegleiter doch zumindest für ein kurzes Filmgespräch zuhause zu besuchen. Das damals auf Video aufgezeichnete Dokument gab den Anstoß, einen größeren Film zu machen.

Phettberg und Palm, der zuletzt mit Arbeiten zu Mozart und Adalbert Stifter bereits im Genre des (etwas trashigen) Künstlerporträts reüssierte - sie schaffen dabei quasi im gleichberechtigten Zwiegespräch ein Werk mit zutiefst österreichischen Motiven.

Von einem jungen Mann aus der bäuerlichen Provinz, der in der Großstadt hochkommt und scheitert zugleich; vom Knecht und Diener, der beständig übergroße Herren beschwört und dabei eine ganz eigene Tyrannei entwickelt: Davon erzählt Hermes Phettberg, Elender ebenso wie über schadhafte Lebensgesamtkunstwerke und Obsessionen, die in dieser masochistischen Ausprägung eigentlich fast nur hierzulande denkbar sind.

"Elende" Größe

Nicht umsonst verglich einst der Literaturkritiker Richard Reichensperger Phettberg mit Peter Altenberg, einem Literaten und Denker, der gewissermaßen auch die größten Weltgedankengebäude aus den kleinsten Formen und unterschiedlichsten Beschränkungen heraus entwickelte.

Die Höchstleistungsmoral unserer Tage tut solche Existenzen gerne ein wenig gönnerhaft als "Unikum" ab. Es ist eine der Hauptleistungen von Hermes Phettberg, dass er stets all seinen Mut zusammennimmt und sich mit dieser Gönnerhaftigkeit nicht abfinden mag. Die Größe, zu der er sich dabei aufschwingt, ist dann mitunter vielleicht "schwach" und "elend", eigentlich könnte der Film aber auch heißen: Hermes Phettberg, Mensch.

Man hätte aus diesem Stoff zwischen Kirche und SM- Szene, Boulevard und Philosophie, Medieninszenierung und Intimität auch einen "großen", angesichts der jetzigen Hinfälligkeit Phettbergs gefährlich pathetischen Film machen können. Kurt Palm, der Pathos nicht draufhat, umgeht die Falle unangestrengt. Voll Respekt für einen alten Freund, den man nicht hochstilisieren muss, um zeigen zu können, wie viel Tiefe in ihm steckt.

Wenn demnächst die Nette Leit Show als DVD-Gesamtedition erscheint, dann ist dieser Film die unumgängliche Weiterführung, ein Kapitel für sich. (Claus Philipp / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2007)