Schaukeln gegen den Stillstand: Bewegungen, die sich gleichsam selbst genügen, spielen in Matthew Porterfields ungewöhnlicher Milieubeschreibung "Hamilton" eine hervorgehobene Rolle.

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In meditativen Einstellungen sammelt er Eindrücke rund um ein junges Paar mit Kind, die zu wenig Zeit füreinander haben.


Die Suburbia hat sich im US-Kino als jener Ort etabliert, an dem die Neurosen von (zumeist weißen) Mittelstandsfamilien die wildesten Blüten treiben. Die dysfunktionalen Generationenverhältnisse in den Filmen von Todd Solondz sind ein Beispiel, der ob seines verfliegenden Lebens panische Familienvater in Sam Mendes' American Beauty ist ein weiteres. Da wie dort lieferte die weitgehend monotone Architektur der US-Vorstadt ein Bild der Uniformität, an dem man sich - auch symbolisch - abarbeiten konnte.

Matthew Porterfields Spielfilmdebüt Hamilton setzt diesem vorherrschenden Bild ein weit weniger geläufiges entgegen. Der titelgebende Ort befindet sich im Nordosten Baltimores - ein gemischtrassiges Stadtviertel, in dem sich urbane und ländliche Elemente ausmachen lassen und das insgesamt eher durch seine Heterogenität auffällt. Hier macht sich die Stadtflucht der Mittelklasse jedenfalls noch nicht anhand der ewig gleichen Reihenhaussiedlungen bemerkbar.

"Wir haben diesen Film in Baltimore entwickelt, weil es unser Zuhause ist und weil sich im Sommer in diesem Viertel große Schönheit finden lässt", schreibt Porterfield über seinen Film. Er drückt in diesem Statement sein Interesse an einem kulturellen Raum und seinen Stimmungslagen aus. Was sich im Film insofern niederschlägt, als die Beschäftigung mit Figuren sowie auch die erzählerische Konstruktion darin höchstens zweitrangig sind.

Suche und Distanz

Die beiden zentralen Figuren sind Lena und Joe, ein junges Paar, das seit kurzem ein Baby hat. Zwei Sommertage geben Hamilton den zeitlichen Rahmen, zwei Tage, an denen es zu keinen besonderen Vorkommnissen kommt, die aber genügen, um sich von der Lebenssituation der Protagonisten ein Bild zu machen.

Gleich zu Beginn ist Lena bereits auf der Suche nach Joe, die Kamera greift diese Bewegung auf und gibt sie nicht mehr ab - ein Idee, die sich William Faulkners Roman Light in August verdankt. Eine gewisse Distanz zwischen den beiden bleibt bestimmend. Das liegt schon daran, dass Joe gleich mehreren Jobs nachgeht, damit die Familie ein Auskommen findet.

Von einer sozialrealistischen Vermessung konkreter Lebensräume bleibt Porterfield allerdings weit entfernt. Sein Augenmerk liegt auf Nebensächlichkeiten, Atmosphären und Aggregatzuständen. Immer wieder erfasst er in sorgfältig komponierten Einstellungen Menschen in Bewegungen, die sich vollkommen selbst genügen. Kinder auf der Schaukel, eine Hetzjagd über die Wiese oder auch eine minutenlange Autofahrt, während der kein Wort gesprochen wird.

Die Nachhaltigkeit, mit der sich hier Menschen wenig zu sagen haben und aneinander vorbeistarren, kann mitunter ermüden. Immerhin zielt der Film damit auf kein existenzielles Pathos, vielmehr scheint er demonstrieren zu wollen, dass sich in diesen ephemeren Augenblicken ein aufrichtigeres Leben verschanzt hält. Lena und Joe sitzen in einer Warteschleife fest. Die impressionistischen Bilder und der aus Sommergeräuschen zusammengesetzte Soundscore verankern sie in einem Milieu, in dem sie beinahe zu aufgehoben wirken. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2007)