Alles was Flügel hat fliegt. Nicht so beim Motorradtraining bei MS2.

foto: sulzbacher

"Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas! Kopf drehen – und Gaaas!"

Wer den Christian an diesem wunderschönen Sonntag im September auf dem Siemens-Parkplatz nur hörte, der hätte nicht vermutet, dass a) der bärbeißige Mann mit dem eindrucksvollen Schnauzer und den zwei Flinserln und dem repetitiven Geschrei eigentlich ein bayerischer Motorradkieberer ist und b) einem Möchtegern-Motorradjournalisten aus Österreich eine sonst sehr erfolgreiche Therapie angedeihen ließ. Wer ihm dabei zuschaute, schon gar nicht.

Der Christian stand dabei in seiner sehr chicen weiß-pinken Lederkombi am Kurveneingang und versuchte mich zu motivieren, a) den mit Baustellenhütchen ausgeschilderten Achter mit etwas mehr Verve zu fahren, dabei b) richtig zu schauen, nämlich noch in der Kurve möglichst früh zum Kurveneingang der gegenüberliegenden Schleife, damit c) die gerade aktuelle Kurve rund ausfällt, die d) Schräglage ordentlich und ich e) endlich mein Knie auf den Boden bring. Nix da. Da konnte der Christian "- und Gaaas" brüllen, wie er wollte.

Campingklo, aber richtig!

Waren also meine 217 Euro (in der Fünfergruppe) ein Fehlinvestment? Keineswegs, hab auch ohne Knieschleifen einiges gelernt. Zum Beispiel die sachgerechte Bedienung eines Campingklos. Wo, wenn nicht so findet man sonntags auf dem Siemensparkplatz ein Ventil für zuviel Mineralwasser und zuwenig Schräglage?

Gelernt hab ich auch, dass – laut Christian – die Bremsratschläge in den meisten Fahrsicherheitstrainings daneben liegen. Von wegen: Voll ins vordere Eisen greifen und zart mit dem hinteren Mitbremsen, wie man’s oft lernt.

Denn: Wenn der entlastete Hinterhuf blockiert und ausbricht, lässt der beste Fahrer die Hinterbremse vor Schreck los – blöderweise aber mit ihr auch die oft in solchen Lagen lebensnotwendige Vorderbremse. Das kann entscheidende Meter kosten. Also ausschließlich volle Pulle vorne zangeln, wenns ernst wird.

Und dann hat mir der Christian noch erklärt, warum ich im Rollen und am Stand soviele Testmopperln umgelegt habe (abgesehen von meinen kurzen Haxen): Nie bei niedrigen Geschwindigkeiten die Vorderbremse! Kippt schneller, als du schauen kannst. Stimmt, schöne Grüße, zum Beispiel an BMW oder Yamaha!

Eingebläut hat er mir noch, dass Hangoff (unabhängig vom geerdeten Knie) Leben retten kann. Natürlich war sogar mir das Prinzip klar: je Hangoff, desto weniger Schräglage. Aber Christians Didaktik macht das Ganze noch ein bisschen deutlicher.

In Sachen Schräglage und Knieschleiferei war der Christian meine letzte Hoffnung. Bei Herrn Gluschitsch hatte ich gelesen, dass anmutige junge Damen wie die Reißerische nach kaum 30 ersten Kilometern auf einem Mopperl schon das Knie erden wie der Herr Casey Stoner.

>>> Ein neuer Patient

Weil nämlich der Christian Instruktor bei Alois Rauschs Fahrtechnikschule MS2 ist, die wiederum Metallausleger an ihre Übungs-GS 500 schraubt, die wiederum Brez’n unmöglich machen. Selbst wenn die Flügerl ganz weit hochgeklappt sind, geht zwar ein stürzen, aber ohne dessen verletzende Folgen. Kurz: Breze geht kaum, aua praktisch nicht so wirklich.

Schräglage ohne Angst, versprach der Guido, und führte bei seinem zweiten Training auch gleich am frühen Nachmittag vor, was dieses Gefühl bei ihm bewirkt. Er muss mit dem hinteren Gummi aus der Kurve sliden, und ist der Grip auch noch so unendlich.

Machen wir’s kurz: Der Herr Glu zeigte uns einen Lowtempohighsider mit Seitenauslegern, dass es nur so rumste. Bisschen aua ging dann doch, aber ein Südsteirer kennt auch bei größeren blauen Flecken keinen Schmerz.

Nun meint der Glu, dass mich seine Showeinlage endgültig aus der Fassung (und damit noch weiter aus der Schräglage) gebracht hat. Das hätt’s nicht mehr gebraucht: Mein Unterbewusstes hat sich offenbar stärker als gedacht zu Herzen genommen, dass ich mir weiland in Pannonien das Armgelenk zertrümmerte: blöder Gasstoß in Schräglage, euphorisiert davon, dass ich drei Ecken zuvor erstmals das Knie geerdet hatte.

Und dann beim Sturz das Mopperl – sehr gescheit – krampfhaft festgehalten. Im Böhler verbaute man viel Eisen, um das Händchen wieder heile zu machen, nach einem Jahr Physiotherapie konnte ich wieder einigermaßen kuppeln (und nötigenfalls Handschaltung fahren).

Auch auf dem Siemensparkplatz in München hatte mein Knie einmal Bodenkontakt. Diesmal aber hätt ich getrost deppert Gas geben können, wäre dann sogar kippend am besten einfach auf der GS sitzen geblieben und mit ihr umgefallen. Nix Op, nix Böhler. Aber ging nicht. Zu deppert oder ungelenk fürs "Kopf drehen", vor allem aber zuviel Schiss vorm "Gaaaas".

So zwei, drei beratungsresistente Patienten hatte Christian schon, sagt er. Für’s erste sind’s vier. Obwohl – soll ich wirklich schon aufgeben? Im Frühjahr fangen die Schräglagentrainings wieder an, möglicherweise sogar mit einer Exkursion nach Wien, was weiß man.

Das nächste Mal hau ich mich garantiert und justament gleich beim ersten Achter um d’Erd, dass die Stützräder quietschen – vielleicht hilft ja eine kleine Schocktherapie. Und bis dahin test’ ich den Dreiradler von Piaggio. Man soll ja nichts überstürzen. (Text: Harald Fidler, Fotos: Martin Sulzbacher, derStandard.at, 18.10.2007)