Thomas Maurer: "Dylan ist halt ein Ferrari. Das sind gute Autos."

Foto: STANDARD/ Heribert Corn

Christian Schachinger reichte Musik, Maurer kommentierte.

Texta – So Könnt's Gehen
(Album: "Paroli", Geco/Hoanzl, 2007)

Thomas Maurer: Handgemachter Garagen-HipHop, das gefällt mir! Für deutschen HipHop eher selten, dass es um etwas anderes geht als um die Tatsache, wie lässig man selber ist und wie flowig der Flow flowt. Angenehm, vor allem auch der kleine Kinderlied-Refrain hinten dran. Keine Ahnung, wer das ist. Ah, Texta aus Linz!

STANDARD: Ist HipHop für einen scharfzüngigen Textproduzenten nach wie vor interessant?

Maurer: Ich bin nie ganz reingekippt und bin nicht wirklich auf der Höhe, was neue Sachen betrifft. Das naheliegende Anliegen, im HipHop einfach Geschichten aus dem Lebensumfeld zu erzählen, fasziniert mich aber schon. Die ersten zwei Eminem-Alben haben mir irrsinnig gut gefallen, vor allem auch, weil sie Nägel mit Köpfen machen. Rapper's Delight war schließlich überhaupt die erste Single, die ich in meinem Leben gekauft habe. Das kann ich noch immer relativ weit nach hinten auswendig: I said a hip hop a hippie to the hippie to the hip hip hop, you dont stop. A rocking to the bang bang boogie...


Chuzpe – Beislanarchie
(Album: "Gut. Böse. Jenseits – 30 Jahre Falter", Universal, 2007)

Maurer: Das erinnert mich an früher. Das ist ja heute oft so, dass die Jungen das Alte entdecken und so tun, als ob es neu wäre. Als ich 17 war, ist das in der Blue Box (legendäres Wiener Musiklokal, Anm.) gelaufen und man hat sich gedacht: Pfau, ist das oarg!

STANDARD: Das kann gut sein, das ist die Wiener Punkband Chuzpe Ende der 70er-Jahre.

Maurer: Ja, dann! Das klingt heute aber besser, als ich es damals aufgrund von auf Kassette gezogenen Raubkopien von Raubkopien angenommen hätte!

STANDARD: Haben Sie mit Punk damals etwas anfangen können?

Maurer: Von der Kraft und Wucht her, ja! Aber einen Abend lang Punkplatten hören, hätte ich schon damals nicht ohne Thomapyrin durchziehen können. The Clash einmal nicht dazugerechnet.

STANDARD: Österreichischer Punk klang aber ohnehin immer etwas gemütlicher.

Maurer: Gemütlicher Punk wäre ein sehr schönes Sub-Genre!

Gogol Bordello – Supertheory Of Supereverything
(Album: "Super Taranta!", Side One Dummy/Trost, 2007)

Maurer: Da kommt relativ viel zusammen, was mir gefällt. Der umgehängte Balkan-Fetzen, Punk, ein Schuss Swordfish Trombones von Tom Waits, die Scheiß-drauf-Haltung von der Sensational Alex Harvey Band, das hab so noch nicht gehört.

STANDARD: Das sind Gogol Bordello, eine "Gypsy Punk Band" aus New York.

Maurer: Ah, das ist der Mann, der mit Madonna bei Live Earth gesungen hat. Gogol Bordello hab ich mir auf einen meiner Einkaufszettel geschrieben, die ich dann immer verliere, bevor ich in ein CD-Geschäft komme. Ich lasse mir ja gern etwas einreden. Ich habe vor einigen Jahren wahnsinnig gern Balkan-Pop gehört und war in Rumänien und Bulgarien länger auf Urlaub. Fantastisch! Was da in beschissenen Touristenkaschemmen teilweise für virtuose Superbands spielen, wenn sie dann einmal kurz munter werden! Bei meinem Geburtstagsfest haben jetzt Karandila aus Bulgarien gespielt. Die haben natürlich heimlich alle ihren John Coltrane und Miles Davis gelernt. Diese Partien geigen gern auf wie die Kicker im Beserlpark: Wer kann besser gaberln – und wer spielt das schneller.

Bruce Springsteen & The E Street Band – Radio Nowhere
(Album: "Magic", SonyBMG, 2007)

Maurer: Der Springsteen ist natürlich schon der Chef. Das ist Klassik! Ist das wieder mit der E Street Band? Wenn die einmal nicht so bombastisch draufhauen, ist das Spitze! Ich habe mir allerdings kaum Alben von ihm gekauft. Warum, weiß ich jetzt auch nicht.

STANDARD: Saxophon in der Rockmusik, Irrtum oder Chance?

Maurer: Ha! Es gibt Beispiele, wo das gut ankommt. Der von mir hochverehrte David Bowie hat damit zum Beispiel einigen seiner Nummern wenig Gutes getan. Wenn das Baritonsaxophon ordentlich brüllt, beispielsweise bei frühen Rock'n'Roll-Nummern, funktioniert das aber.

STANDARD: Sprechen wir vom Tina-Turner-Saxophon.

Maurer: Auweh! Das "gefühlige" Balladen-Saxophon könnte für musikalisch extrem beschlagene Menschen in Ausnahmefällen wahrscheinlich einen Sinn machen. Aber ich glaube, da müsste man enzyklopädisch gebildeter sein als ich. Mir fällt nämlich grad kein Ausnahmefall ein.

Arcade Fire/David Bowie – Wake Up
("Live At The Fashion Awards", iTunes, 2006)

Maurer: Da wächst zusammen, was zusammengehört! Das sich hymnisch emporschraubende, mantra-artige Element dieser Nummer kommt natürlich dem David Bowie extrem entgegen.

STANDARD: Bowie ist wichtig für Ihre Biografie?

Maurer: Ja! Allerdings war ich in den 80er-Jahren extrem böse auf ihn. Ich habe es bis heute durchgehalten, dass ich zwar alle Alben von ihm habe, aber aus dieser Zeit keine. Tin Machine war zwar aus heutiger Sicht nicht gut, aber es hat mich gefreut, dass er dann zumindest irgendetwas Neues probiert hat. Und die letzten Alben waren zwar keine stilbildenden Geniestreiche, aber ansprechend. Scary Monsters 1980 war leider das letzte Monument! Auf das kommende Album zu seinem 60. Geburtstag bin ich allerdings schon sehr neugierig. Die Liebe zum Glam-Genre ist mir ja doch geblieben.

STANDARD: Männer in Frauenkleidern.

Maurer: Wenn es leicht geht!

Duran Duran feat. Justin Timberlake – Falling Down
(Single, SonyBMG, 2007)

Maurer: Da falle ich ins Leere, finde es aber äußerst ansprechend, dass man auch Mainstream-Sachen interessant produzieren kann. Das Mastering von Studioaufnahmen wurde nicht umsonst über die Jahre immer wichtiger. Man müsste das einmal musikhistorisch festmachen: Wann wurde es zur Pflicht, dass man das Gleiten über die Saiten einer Akustikgitarre auch auf Alben wirklich hören konnte? Das hier hat so einen Red Hot Chili Peppers-Groove mit deutlichem Auge darauf, was beim Durchschnittshörer gerade noch geht. Duran Duran, wer hätte das gedacht?! Wieder etwas gelernt. Die Frisuren von denen in den 80ern wären jetzt ja schon wieder lässig. Schauen wir mal, vielleicht machen ja auch Kajagoogoo noch mal ein Experimentalalbum.

Modeselektor feat. Thom Yorke – The White Flash
(Album: "Happy Birthday!", Bpitch Con/Soul Seduction, 2007)

Maurer: Thom Yorke hätte ich jetzt nicht erkannt, weil seine bekannten Gesangsmanierismen hier fehlen. Es wirkt für Laptop-Musik aber angenehm handgemacht. Bei Radiohead finde ich den Mut und die künstlerische Intelligenz beachtlich, nach dem Klassiker OK Computer sozusagen am Karrierehöhepunkt einfach Pause zu machen. Es folgten wirklich experimentelle Alben wie Kid A und Amnesiac und dann sagten sie wiederum mit einem Livealbum zum Rock: Grüß Gott! Diese Rückholung zur Erde finde ich interessant. Mit solchen Schritten könnte man tatsächlich eine Karriere verbrennen. Hut ab! Das neue Download-Album In Rainbows habe ich noch nicht gehört. Ich bin aber sehr gespannt, ob sie jetzt eventuell in ihre Rolling Stones-Phase eintreten und wieder machen, was sie eh schon früher sehr gut gekonnt haben – oder vielleicht noch einmal einen Haken schlagen.

STANDARD: U2 als ein von der Größe und dem pathetischen Ansatz her vergleichbares Kaliber haben das Experimentelle in ihrer Zooropa- und Lemon-Phase ja auch kurz probiert, aber relativ schnell wieder den Schwanz eingezogen.

Maurer: Oh ja! Das muss man leider so konstatieren. Radiohead sei wegen Kid A jedenfalls alles vergönnt!

Bob Dylan – Most Likely You Go Your Way (And I'll Go Mine) Mark Ronson Remix
(Single, SonyBMG, 2007)

Maurer: Man kann es gar nicht glauben, aber: Das ist sogar schon auf FM4 gelaufen!

STANDARD: Möglicherweise das erste Dylan-Stück in der Geschichte dieses Senders. Wahrscheinlich, weil sie vom Produzenten von Amy Winehouse kommt. Die ist gerade schwer angesagt.

Maurer: Man kann sich eben auf nichts mehr verlassen! Diese neue Fassung ist aber ziemlich klasse. Dylan hätte das selbst in einer seiner vielen künstlerischen Phasen auch einfallen können. Remixes und Coverversionen sind halt generell etwas unnötig. Sie dienen vielen älteren Musikern dazu, einer jüngeren Generation alte Nummern anzudrehen. Dabei kann allerdings, mit Vorbehalten, auch durchaus Interessantes entstehen. Bob Dylan ist halt ein Ferrari. Das sind relativ gute und schnelle Autos.

STANDARD: Bei den Rolling Stones hat vor einigen Jahren ein ähnlicher Remix für Sympathy For The Devil als Brückenschlag zur jüngeren Generation gar nicht geklappt.

Maurer: Die Stones sind mittlerweile die beste Stones-Coverversionen-Band der Welt. Sie müssten das aber gar nicht machen. Exile On Main Street, ach....

Helmut Qualtinger/André Heller – Wean, Du Bist A Oide Frau
(Album: "Heurige und gestrige Lieder", Polydor, 1979):

Maurer: Jauchzende Todesseligkeit ist etwas, das auch der Rockmusik nicht ganz fremd ist. Und dass Wien leiwand ist und auch das Saufen und das Pudern, das kann ich inhaltlich unterschreiben! Mit der Neo-Wienerliedschiene bin ich auch nie warm geworden, fände es aber schade, das sterben zu lassen.

STANDARD: Die "Wiener Blue Note" ist für zugezogene Nichtwiener wie mich nervlich oft etwas belastend.

Maurer: Die verschliffene Terz funktioniert am besten, wenn sie von Leuten gesungen wird, die das wirklich können – und die auch schon ein bisschen angesoffen sind! Dann kann das durchaus festlich sein.

STANDARD: Unfreiwilliger Humor kann etwas Bedrückendes haben.

Maurer: Natürlich!
(RONDO / DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2007)