Das innige Verhältnis der Wiener zu ihren Toten gilt als sprichwörtlich, ein "Aphrodisiakum für Nekrophile" hat André Heller den Wiener Zentralfriedhof einmal genannt. Tatsächlich wird die Friedhofsanlage nicht nur am 1. November, zu Allerheiligen, wenn Tausende den Gräbern ihrer Angehörigen einen Besuch abstatten, gerne für Ausflüge und Spaziergänge genutzt. derStandard.at durfte für "Wien von oben" auf die Kuppel der Karl-Borromäus-Kirche und kann Ausblicke auf das weitläufige Friedhofsareal und darüber hinaus präsentieren.

Foto: derStandard.at/Gedlicka

Mit rund 2,5 km2 ist der Wiener Zentralfriedhof flächenmäßig nach Hamburg/Ohlsdorf die zweitgrößte Friedhofsanlage Europas. Fast drei Millionen Menschen aller Konfessionen haben hier in rund 250.000 Grabstellen ihre letzte Ruhe gefunden. Offiziell seiner Bestimmung übergeben wurde das Areal im Süden Wiens, das damals noch nicht zum Stadtgebiet gehörte, am 1. November 1874. Aus der anfangs viel gescholtenen baum- und strauchlosen Ebene in Simmering ist seitdem eine vielfältige Parklandschaft geworden.

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Der Beschluss außerhalb der Stadt einen Zentralfriedhof zu errichten, dessen Aufnahmekapizitäten nie oder erst in ferner Zukunft an die Grenzen stoßen, wurde vom Wiener Gemeinderat 1863 gefasst. Sechs Jahre später fiel die Entscheidung zugunsten eines Grundstücks in Kaiserebersdorf, das sich unter anderem durch seinen sandigen Boden auszeichnete.

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Seine eigene Friedhofskirche bekam der Wiener Zentralfriedhof erst 1910 mit Fertigstellung der Karl-Borromäus-Kirche. Die Zentralkuppelkirche, auf die man direkt vom Haupttor aus zusteuert, wurde nach Entwürfen von Max von Hegele, einem Schüler Otto Wagners, errichtet und gilt als eine der bedeutensten Jugendstil-Kirchenbauten.

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Direkt vor der Karl-Borromäus-Kirche befindet sich ein Rondeau mit der Präsidentengruft, in der seit 1951 alle Bundespräsidenten der Zweiten Republik beigesetzt wurden. Ebenfalls im Vorfeld der Kirche gibt es Ehrengräbergruppen. Mit der Konzentration an Grabstätten prominenter Verstorbener wurde bereits 1885 begonnen, um die Attraktivität des Friedhofs zu steigern. Zuletzt wurde der Jazzmusiker Joe Zawinul in einem Ehrengrab bestattet.

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Teil des Baukonzepts Max von Hegeles waren auch Gruftanlagen, die sich zu beiden Seiten der Karl-Borromäus-Kirche befinden und noch vor Baubeginn der Kirche in den Jahren 1905 bis 1907 errichtet wurden. Durch die beiden Arkaden, die 70 Grüfte und 768 Kolumbarnischen beherbergen, erzielt die Anlage eine platzartige Wirkung. In den Kolumbarnischen befinden sich übrigens nicht Aschenurnen, sondern Särge.

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Die Karl-Borromäus-Kirche ähnelt der Steinhofkirche, ist aber wesentlich wuchtiger. Sie fasst ingesamt bis zu 1.600 Menschen. Unter dem Hauptaltar befindet sich die Gruft des 1910 verstorbenen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger, weshalb die Kirche auch unter dem Namen Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche bekannt ist.

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Die Glasfenster der Kirche stammen aus der Werkstätte Kolo Mosers.

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Der Zwischenraum der Kuppel, die durch eine Bombe im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden war. Insgeamt fielen in den letzten Kriegsmonaten 530 Sprengbomben auf den Friedhof, 12.000 Gräber und 200 Grüfte wurden dabei zerstört.

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Von 1995 bis 2000 wurde die Karl-Borromäus-Kirche einer Generalsanierung unterzogen, auch die Innenkuppel wurde dabei originalgetreu wiederhergestellt.

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Die letzten Meter vor dem Ausstieg aus der Kuppel ...

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... und der Ausblick von ebendort.

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Die Kamine des Heizkraftwerks Simmering, links davon sind die Hochhäuser der Donau-City zu erkennen.

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Das Kreuz auf der Kuppel der rund 60 Meter hohen Karl-Borromäus-Kirche.

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Gleich hinter der Karl-Borromäus-Kirche sind die sowjetischen Kriegsgräber des Zweiten Weltkrieges zu finden, in denen über 2.000 gefallene Soldaten der Roten Armee beerdigt sind.

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Die zum Zentralfriedhof gehörigen Gärtnereien. Für die Aufsicht, Verwaltung und Erhaltung des Wiener Zentralfriedhofs ist die Magistratsabteilung 43 zuständig. Rund 170 bis 300 Menschen (je nach Jahreszeit) gibt die Friedhofsanlage Arbeit.

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Da der Wiener Zentralfriedhof auf zuvor unbebautem Gebiet entstanden ist, hatten die Architekten bei der Gestaltung einen großen Freiraum, der sich nicht zuletzt in klaren geometrischen Strukturen äußert.

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Dass "zentral" in Wien nicht immer mit der Stadtmitte gleichzusetzen ist, belegt auch der so genannte Zentral-Verschiebebahnhof, dessen kilometerlange Gleisanlagen parallel zum Zentralfriedhof verlaufen.

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Der Schatten der Karl-Borromäus-Kirche.

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Blick über die Bäume des Zentralfriedhofs hinweg Richtung Schwechat. Mit seinem teils dichten Baumbestand beherbergt der Zentralfriedhof eine Vielzahl von Tieren, darunter neben Eichkätzchen auch Turmfalken, Feldhamster und Dachse.

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Blick in Richtung des Bezirks Landstraße, am Horizont ist der Funkturm der Telekom Austria im Arsenal zu sehen.

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Wer den Wiener Zentralfriedhof selbst besuchen will, dem steht dazu etwa Straßenbahnlinie 71 zur Verfügung, die noch heute das meistgenutzte öffentliche Verkehrsmittel ist, das als Zubringer zum Friedhof dient. Dank unzähliger Anekdoten und Lieder ist der "71er", der seine Liniennummer seit 1907 trägt, längst zum Synonym für den letzten Weg der Wiener geworden. (glicka)

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