Für Anwälte, Journalisten und einzelne EU-Bürger können Schriftsätze der EU-Kommission in Gerichtsverfahren beim Europäischen Gerichtshof zu spektakulären Fusions- und Vertragsverletzungsverfahren oder Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte von großem Interesse sein. Rechtsvertreter finden in diesen Dokumenten mögliche Argumente für andere Verfahren. Jüngst hat das Europäische Gericht erster Instanz in Luxemburg (EuG) ein Urteil zum Zugang der Öffentlichkeit zu solchen Schriftsätzen erlassen (T-36/04 vom 12.9.2007) und damit für mehr Transparenz gesorgt.

Nach Artikel 255 EG haben alle Unionsbürger sowie natürliche oder juristische Personen mit EU-Sitz ein Zugangsrecht zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission. In einer Verordnung (EG 1049/2001) wurden Bedingungen und Einschränkungen festgelegt. Der Zugang zu den Dokumenten darf nur verweigert werden, wenn durch deren Verbreitung z. B. der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt wird. Besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung, dann ist auch in solchen Fällen Zugang zu gewähren.

Schriftlicher Antrag

Will ein Journalist bestimmte Dokumente in einem Gerichtsverfahren erhalten, muss er einen schriftlichen Antrag beim jeweiligen EU-Organ einbringen. Bei einer Ablehnung hat er das Recht, binnen 15 Tagen nach Eingang der Antwort in einem Zweitantrag eine Überprüfung des Standpunkts zu verlangen. Bleibt es bei der Ablehnung, dann ist das Gemeinschaftsorgan verpflichtet, den Antragsteller über die Rechtsbehelfe, d.h. die Möglichkeit einer Klage beim EuG bzw. einer Beschwerde beim Bürgerbeauftragten zu belehren.

Im Anlassfall hatte eine Organisation ausländischer Journalisten (ASBL) mit Sitz in Belgien bei der Kommission den Zugang zu Schriftsätzen in verschiedenen politisch heiklen Rechtssachen (EuG und EuGH) beantragt. In einem Fall ging es um die Verfahren gegen Mitgliedstaaten wegen Verletzung der "Open-Skies"-Abkommen, in einem anderen um die vom Gerichtshof aufgehobene Fusionsentscheidung zu Airtours/MyTravel, die einen Schadenersatzprozess gegen die Kommission zur Folge hat. Andere Fälle betrafen Verfahren über Vorabentscheidungsersuchen.

Njet aus Brüssel

In den Vorlageverfahren gewährte die Kommission den Zugang zu den Dokumenten, nicht aber in den Klageverfahren. Im bereits abgeschlossenen Fall Airtours begründete sie dies mit Hinweis auf das laufende Schadenersatzverfahren, wo die Herausgabe der Dokumente den Rechtsstandpunkt der Kommission beeinträchtigen könnte. Beim ebenfalls abgeschlossenen "Open Skies"-Verfahren erklärte sie ihr Njet damit, dass die Mitgliedstaaten die Urteile des EuGH noch nicht umgesetzt haben und weitere Vertragsverletzungsverfahren drohen.

Das Gericht folgte der Rechtsauffassung der Kommission in wichtigen Punkten nicht. Entscheidend für die Zugangsentscheidung ist demnach der Stand des Verfahrens. Eine Weigerung ohne inhaltliche Prüfung der Schriftsätze kommt nur dann in Frage, wenn im Verfahren noch keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Nach dieser Verhandlung muss die Kommission jedes angeforderte Dokument konkret überprüfen, ob es freigegeben werden kann oder die Freigabe das betroffene Verfahren beeinträchtigt.

Im Fall Airtours widersprach das Gericht der Kommission, da es in dieser Rechtssache schon ein Urteil gibt. Die Schadenersatzklage rechtfertigt keine Einschränkung des Zugangsrechts. Gleiches gilt für beendete Vertragsverletzungsverfahren wie Open-Skies. Die bloße Möglichkeit weiterer Klagen gegen Mitgliedstaaten rechtfertigt eine Einschränkung des Transparenzprinzips nicht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.10.2007)