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Friedenspreis neun Jahre nach Walser: Friedländer.

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Frankfurt – Als Martin Walser vor neun Jahren anlässlich der Verleihung des Friedenpreises des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche eine Rede hielt, nützte er die Gelegenheit zu einer Demonstration seiner "Meinungsfreiheit". Er gab seinem Unbehagen über die Weise Ausdruck, wie die Verbrechen des Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit in Erinnerung gehalten werden: "Könnte es sein, dass die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, dass sie uns die Schande vorhalten, eine Sekunde lang der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern?"

Die Rede verursachte großes Aufsehen, weil sie an das Fundament des politischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik rührte: ihrer Bezogenheit auf das NS-Regime, dessen Verbrechen niemals zu vergessen sind. Zwischen den Zeilen von Walsers Rede war es wieder zu spüren, dieses Bedürfnis nach einem Schlussstrich unter der "Dauerpräsentation unserer Schande".

An diesem Sonntag geht der Friedenspreis an den Historiker Saul Friedländer, dessen Eltern 1942 aus dem besetzten Frankreich deportiert und umgebracht wurden. Nach Ansicht mancher Kollegen ist er damit befangen und kann eigentlich darüber wissenschaftlich nicht sprechen – das ganze Lebenswerk von Friedländer stellt einen Gegenbeweis dar. Er lehrt in Tel Aviv und Los Angeles, im vergangenen Jahr ist in deutscher Sprache der zweite, zentrale Band seiner Geschichte der Shoah erschienen.

In mehrfacher Hinsicht könnte die Preisverleihung zu einer Art Echo auf 1998 werden (auch wenn Friedländer im Spiegel-Interview versichert hat, dass es ihm egal ist, was Walser denkt). Die Konstellationen haben sich nicht wesentlich verschoben: Einer zunehmenden medialen Aufmerksamkeit für die Verbrechensgeschichte steht ein wachsendes Desinteresse an der historischen Relevanz von Auschwitz gegenüber. Was Walser damals noch nicht in diesem Ausmaß begreifen konnte, zeigt sich inzwischen deutlicher: Die Allgegenwart von Hitler erlaubt es gerade, einen Schlussstrich zu ziehen.

Die Wissenschafter haben ihre analoge Debatte zur "Historisierung" geführt. Dabei hat Friedländer schon in den 80er-Jahren gegen Martin Broszat die fortgesetzte Erinnerung an die Geschichte der Opfer und der Täter zur Sache der Geschichtswissenschaft erklärt – der Nationalsozialismus lässt sich eben nicht als Phänomen aus der Geschichte herauslösen, sodass sich im Anschluss daran etwaige Facetten von Modernität von den Menschheitsverbrechen unterscheiden ließen.

Diesen Anspruch hat Friedländer eingelöst. Er hat damit nebenbei auch den Gegensatz aufgehoben, in dem Walser die Intellektuellen befangen sah: Sie sind eben (als Deutsche) nicht gezwungen, sich immer nur in die Erbschaft der Täter und der Schuld zu stellen, wie er es angesichts einer "vorgehaltenen Moralpistole" tun zu müssen meinte. Die Deutschen können die Bücher von Friedländer, in denen zahlreiche Opfer aus Tagebüchern und Aufzeichnungen sprechen, ebenso als wissenschaftliche Werke wie als Trauerarbeit im Gedächtnis an die Opfer lesen. Dazu hätte Walser aber ein wenig von sich absehen müssen – eine Fähigkeit, über die Saul Friedländer verfügt, der zumeist seine Arbeit sprechen lässt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 13.10.2007)