Puzzlestücke der neueren Designgeschichte: Teilchen-Perser von Katrin Sonnleitner

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Tisch und Stuhl "New Antiques" von Marcel Wanders für Cappellini

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Lederobjekt "pools et pouf" von Robert Stadler

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Waschtisch von Jaime Hayon

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Wildes Sperrholzstück aus der Serie "Animaux" von Big Game

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Verschnörkelter Heizkörper "Heatwave" von Joris Laarman

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Angefackelte Chaiselongue von Maarten Baas ("Smoke Unique Pieces")

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Mailand im April 2007, Möbelmesse. Im Rahmen der Ausstellung "graduation 2006" der Design Academy Eindhoven präsentiert die Absolventin Wendy Plomp einen gefalteten Stapel Wellpappen, die mit unterschiedlichen Mustern bedruckt sind. Genauer gesagt mit Mustern, wie wir sie von Orientteppichen, von den so genannten Persern kennen. Der Wertigkeit verheißende Aufdruck findet sich auf der Innenseite, das heißt, erst wenn man die Kartonage auf ihren zweidimensionalen Ursprung zurückfaltet, erhält man eine Art Läufer.

Nicht minder despektierlich ist der Vorschlag, den die junge Designerin Katrin Sonnleitner jüngst auf der Frankfurter "Tendence" in der Sonderschau Talents 07 dem nach luxuriösem Wohnambiente gierenden Publikum kredenzte: Ihr Perser ist nichts anderes als ein veritables Großpuzzle, bestehend aus 1225 Einzelteilen, Material synthetischer Kautschuk (!), selbstverständlich lasergeschnitten.

"New Antiques"

Nun wäre es ein Leichtes, noch weitere Neuperser aufzulisten, und ebenso einfach wäre es, diesen Hang zur Teppichpflege zu einem neuen Trend zu erheben. Gleichwohl würde man damit nur einen Teilaspekt einer tatsächlich zu konstatierenden Entwicklung erfassen. Denn nicht nur das bislang vornehmlich im großbürgerlichen Boudoir beheimatete orientalische Ornament inspiriert die jungen Designer, auch Hirschgeweih und Kuckucksuhr, Barock und Bauhaus, Meißen und Memphis, kurzum nahezu jede Epoche, jede Stilrichtung, die sich durch eine gewisse Eindeutigkeit auszeichnet, findet Eingang in den zeitgenössischen Formenkanon. "New Antiques" nennt denn auch folgerichtig Marcel Wanders, einer der bekannteren Protagonisten dieser Oldie-Welle, seine Möbelkollektion aus dem Jahre 2005. Und wären die Stühle, Bänke und Tische nicht komplett schwarz lackiert, könnten sie glatt als "originat" durchgehen, vermag doch nur der Kenner zwischen plakativer Transformation und originalgetreuer Nachbildung zu unterscheiden.

Nun sind solche Rückgriffe auf vergangene Dekaden und deren formale Physiognomie nichts unbedingt Neues. Man denke nur an den Nostalgie-Brutalismus der 1970er-Jahre, als es die aufbegehrende Jugend besonders schick fand, ihre Hanfzigarette in einem von den Insignien des Bürgertums durchsetzten Ambiente kreisen zu lassen. Oder an die vornehmlich in der Architektur angesiedelte so genannte Postmoderne, die geradezu wollüstig klassische Motive zu immer neuen, aber immer irgendwie gleichen Kulissen zusammenbastelte.

Attrappenkultur

Also alles Schnee von gestern? Ja und nein! Denn sowohl das spontane As-found-Prinzip der 1960er- und 1970er-Jahre als auch die an einem überbordenden Manierismus zugrunde gegangene Postmoderne begründeten sich nicht nur durch die Bewunderung gestriger Formen, sondern auch durch eine mehr oder weniger bewusst formulierte Ideologie. Und ein solch theoretischer, alle Entwurfskonzepte überwölbender Überbau geht dem stilistischen Remix unserer Tage völlig ab. So ging es nämlich den Flohmarktflaneuren von einst nicht zuletzt darum, den vermeintlichen Attributen elterlichen Wohnens durch ein bloßes Crossover mit Matratzen, Obstkisten und sonstigen Trouvaillen vom Sperrmüll jegliche repräsentative Strahlkraft auszutreiben.

Und auch die zur Postmoderne konvertierten neo-neo-klassizistischen Architekten verfolgten ein nicht minder ambitioniertes Ziel: die gestische Aufwertung einer durch schieren ökonomischen Rationalismus banalisierten Moderne. Ob Säule oder Sockel, ob Gesims oder Gewände, jedes Zitat diente den Protagonisten dieser Strömung vor allem dazu, ihre Gehäuse baukünstlerisch hochzurüsten. Das war zwar so falsch nicht gedacht; das Problem war eben nur, dass einerseits nur wenige Baumeister mit dem klassischen Vokabular souverän umzugehen wussten, dass aber andererseits das Gros der Bauherren und ihrer planenden Erfüllungsgehilfen dieses "Zitieren" als Legitimation zur bloßen Verhübschung noch der banalsten Gewerbehalle verstanden. So endete diese Bewegung - zumindest dort, wo sie sich ausschließlich in der populären griechisch-römischen Abteilung bediente - in einer vordergründigen Attrappenkultur, die dem Betrachter heute, zwanzig Jahre später, nur noch ein mitleidiges Lächeln abringt.

Aber eben nicht alle blickten nach Rom und auf den Peloponnes. Insbesondere die Möbel- und Interieur-Designer, und hier wiederum diejenigen, die in den großbürgerlichen Milieus von Paris, Barcelona oder Mailand aufwuchsen, konzentrierten sich auf die eigenen vier Wände. Und das, was sie hier entdeckten, war nicht gerade wenig. Im Gegenteil: Dem distanzierten Blick des postmodern geschulten Eleven offenbarte sich hier in den Etagen der metropolen Residenzen ein Schlaraffenland tradierter Wohnkultur, ein schier unerschöpflicher Fundus von Möbeln, Mustern und Dekoren.

Vor allem der Franzose Philippe Starck verstand und versteht es bis heute, die gut abgelagerten Versatzstücke dieser salonesken Inszenierungskunst zu isolieren und durch eine formale oder materielle Transformation in das Hier und Jetzt zu überführen. Geradezu prototypisch für diese Vorgehensweise ist der 2002 bei Kartell vorgestellte Armlehnstuhl Louis Ghost, der unübersehbar dem französischen Louisismus huldigt - allerdings in Form einer transparenten Polycarbonat-Ausführung.

Spielerischer und humorvoller Umgang

Neben einer nach wie vor souveränen Linienführung sind es immer wieder solch radikale Materialvorschläge, mit denen der juvenile Altmeister sein Werk kontinuierlich auf der Höhe des Zeitgeists positioniert. Dort hat sich inzwischen auch der ganz ähnlich arbeitende Spanier Jaime Hayon eingerichtet. Allerdings liebt er es, seine historischen Versatzstücke mit Elementen der Bauhausmoderne oder der Fünfzigerjahre zu kombinieren. Das klingt verwegen - und das ist es auch. Durch einen einfachen Trick allerdings erreicht er eine frappierende Geschlossenheit: Nahezu all seine Kollektionen, etwa "the bathroom", erstrahlen in einem Farbton oder sind häufig nur in einem Material gefertigt. Die Frage, ob, und wenn ja, inwieweit er sich nun von Starck hat inspirieren lassen (oder umgekehrt), erscheint allein schon deshalb müßig, weil sich derartige Spielarten der formalen und materiellen Verfremdung mehr und mehr zu einem der Wesenszüge dieser New Olds herauskristallisieren.

Wobei, und hier wäre nun tatsächlich ein Unterschied zu früheren Design-Recycling-Phasen zu konstatieren, dieser Umgang mit der Vergangenheitsform heutzutage weit weniger verkopft, dafür aber weitaus spielerischer und humorvoller gehandhabt wird. Allein die vom akademischen Design nachhaltig tabuisierte Sparte Volkskunst und Folklore erlebt eine bislang so nie gekannte Zuwendung: Über "Kuckucks-" und "Wand"-Uhren aus Pappmaché (Cul de Sac, Valencia, Spanien), Hirsch- und Elchköpfe aus hauchdünnen Sperrholzbrettchen (Big Game, Lausanne, Schweiz) oder über Porzellan-Dildos mit hollandblauer Kachelbemalung (OOOMS, Davy Grosemans, Eindhoven) kann man auch ohne kunstgeschichtliche Vorbildung schmunzeln. Und auch der nur aus aneinandergefügten Barockdekoren bestehende Heizkörper des Holländers Joris Laarman oder die im Muster englischer Clubsessel ausgeführten Leder-"Parasiten" Robert Stadlers machen aus der Quelle ihrer Inspiration keinen Hehl - um sich gleichzeitig von ebendieser eindeutig zu distanzieren.

So bleibt als explizit heutiges Attribut eigentlich nur die Herstellung bzw. die technologische Basis der meisten dieser Objekte. Sie aber ist derart präzise und avanciert, dass eine korrekte Zuordnung schon von daher garantiert ist. Außer vielleicht bei den Arbeiten des Holländers Marten Baas: Er bevorzugt es, die von ihm ausgewählten Klassiker auf eine Holzkohlestruktur abzubrennen. (Volker Albus/Der Standard/rondo/12/10/2007)