Der Briefkasten der EU-Kommission steht gewöhnlichen Bürgern und Interessenvertretungen offen. Der Konsultationsprozess soll die Gesetzgebung verbessern.

Foto: Corn, Collage: Friesenbichler
Derzeit läuft etwa eine Konsultation über eine grundlegende Änderung des Mehrwertsteuersystems.

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Bevor die Europäische Kommission eine Reformidee präsentiert, befragt sie die EU-Bürger. Jüngstes Beispiel ist die anstehende Reform der EU-Finanzen.

Mitte September leitete die Kommission dazu eine "offene Diskussion" ein. "Alle interessierten Kreise auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene" können sich daran beteiligen und Vorschläge an die Kommission schicken. Sie sollen so die Arbeiten der Kommission zur Überprüfung des EU-Haushalts mitgestalten, die für den Zeitraum 2008/2009 ("midterm review") vorgesehen ist.

Die Kommission besitzt in der EU das Initiativrecht. Konsultationen mit Experten hat es immer schon gegeben. Konfrontiert mit dem Ruf nach mehr Bürgernähe und Transparenz nach dem Nizza-Vertrag von 2001 und vor allem seit die Kommission unter José Manuel Barroso im Amt ist, macht Brüssel aber verstärkt von den Konsultationsprozessen Gebrauch.

WKÖ rief zur Teilnahme auf

"Die Konsultationen sind hilfreich für den Lobbyismus und für die Richtlinien-Vorschläge", erläutert Claudia Anselmi von der finanzpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich im STANDARD-Gespräch. Die Wirtschaftskammer hat ihre Mitglieder etwa dazu aufgerufen, sich in die Reform des Mehrwertsteuer-Systems in der EU einzubringen. Eine konkrete Option ist, einen generellen "Reverse-Charge-Mechanismus" einzuführen: Zwischen Unternehmern wird ab einem bestimmten Schwellenwert (5000 Euro) keine Mehrwertsteuer verrechnet.

Es ist der Versuch, dem Mehrwertsteuerbetrug einen Riegel vorzuschieben. Denn wo keine Mehrwertsteuer verrechnet wird, kann auch keine hinterzogen werden. Nur wäre das neue System mit Umstellungskosten verbunden. Bringt es das für den unternehmerischen Erfolg, sind die Kosten überhaupt abzuschätzen? Zu Fragen wie diesen können noch bis nächsten Montag, dem 15. Oktober, Europas Unternehmer ihre Stellungnahme abgeben.

Zielgerichtet

"Die Kommission leitet aus den Konsultationsprozessen eine gewisse Stimmung ab, aber keine technischen Lösungen", sagt Anselmi. In der Regel sei der Input umso geringer und umso hochwertiger, je zielgerichteter eine Konsultation sei.

Bei der Mehrwertsteuer-Reform rechnet Anselmi mit Einsendungen "im dreistelligen Bereich" alleine aus Österreich. Die Überlegungen der Betroffenen sind formal an die zuständige Generaldirektion der EU-Kommission zu richten. Die Wirtschaftskammer hofft, von den Unternehmern eine Kopie ihrer Einsendungen zu erhalten. "Wir haben großes Interesse an der Meinung unserer Mitglieder." Und die österreichischen Sozialpartner, Wirtschaftskammer ebenso wie Gewerkschaft, sind auf EU-Ebene in den gesetzgebenden Prozess eingebunden.

Es geht nicht nur um das Schlagwort "Bürgernähe", sondern auch um "mehr Transparenz". EU-Dokumente seien eher zu bekommen als nationale, so Anselmi. Das bestätigt man auf Anfrage auch bei der EU-Kommission: Biete man mehr Transparenz an, informieren sich die Bürger auch mehr. Das wird vielleicht auch bei der bis April 2008 laufenden Konsultation zur Reform des EU-Budgets der Fall sein. Laut Eurobarometer-Umfrage glaubt die Mehrheit der Österreicher, dass ein Großteil der EU-Mittel für die Verwaltung verwendet wird. Tatsächlich verschlingt aber bisher die Landwirtschaft fast die Hälfte des Geldes.

Laut Kommission gibt es keine Auswertung darüber, welche Länder sich wie stark an den Konsultationsprozessen beteiligen. Klar ist nur: "Es gibt keinen Mitgliedstaat, der sich nicht beteiligen würde." (Heike Hausensteiner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.10.2007)