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Herbie Hancock taucht in Joni Mitchells Songwelt ein.

Foto: AP/Alex Brandon

Herbie Hancock: River - The Joni Letters (Universal)

Albumcover: Universal
Außerhalb der "komfortablen Zone" soll man arbeiten, das war der Tipp des Alten, den Herbie Hancock nicht zu vergessen trachtet. "Ich habe viele lehrreiche Erinnerungen an Miles Davis. Da war etwa so ein Konzert in Stuttgart, wir spielten ,So What', und es war eine Nacht, in der die Band wirklich toll drauf war, alles passte. Als Miles aber gerade sein Solo spielte und dieses gerade seinen Höhepunkt ansteuerte, produzierte ich einen Akkord, der so falsch war, dass ich dachte, alles zerstört zu haben. Miles hielt dann aber kurz inne, nahm einen Atemzug, und dann spielte er Noten, die meinen total falschen Akkord zu einem richtigen machten. Ich war wie tiefgefroren. Was hatte Miles da gemacht? Ich habe Jahre gebraucht, um es zu begreifen. Miles urteilte nicht, er hörte, was passierte und versuchte, es zum Funktionieren zu bringen. So versuche ich es auch - offen zu sein für den Augenblick und Instinkten zu vertrauen."

Im Laufe der Jahrzehnte ist ihm das ziemlich gelungen. Hancock ist wohl einer der vielseitigsten Pianisten und Komponisten, die der Jazz hervorgebracht hat. Mit "Dolphin Dance", "Maiden Voyage" und "Cantaloupe Island" hat er Jazzhits geschrieben, hat im zweiten Quintett von Miles Davis Wesentliches für die Jazzmoderne geleistet; er war aber auch in der Fusionepoche an wichtigen Plattendingen beteiligt. Und seiner Sympathie für den Funk sind die Headhunters entsprungen, quasi mit polyphonem Funk. Zudem hat er mit "Future Shock" seine Hitqualitäten mit derb-elektronischen Mitteln bewiesen. Das reicht also für mehrere stattliche Musikerleben, weshalb es auch verzeihlich scheint, dass Hancock in den letzten Jahren etwa mit "New Standards" und auch Begegnungsprojekten mit Promisängern ("Gerswins World") die konzeptuellen Erwartungen nicht klanglich erfüllen konnte.

Nun ist ihm immerhin mit "River - The Joni Letters" Brauchbares gelungen. Zusammen mit Saxophonist Wayne Shorter und Bassist Dave Holland hat er eine entspannte, elegische Auslegung von Joni-Mitchell-Songs erarbeitet. Die Herausforderung: "Erstmals konzentrierte ich mich auf Worte, das habe ich früher nie getan. Immer ging es mir um Harmonie und Melodie. Hier aber war klar, dass man von den Worten ausgehen muss, denn Joni ist ja zunächst Poetin. Wir ginge so weit, jedem vor den Aufnahmen die Texte zu geben, um sie zu diskutieren. Um welche Orte, welche Szenen geht es, wer sind die Charaktere in den Songs? So wurden die Instrumente mitunter zu Personen, Wayne ist perfekt für so etwas." Mitchell singt zwar eine Nummer, aber sie war nicht wirklich Teil des Projektes, konnte nicht umfassend befragt werden. "Wenn Produzent Larry Klein, der mit ihr gearbeitet hat und auch mit ihr verheiratet war, etwas nicht beantworten konnte, hat er sie gefragt. Ich habe sie nicht konsultiert. Sie war nicht da, sie war selbst beschäftigt. Aber Larry sagte, dass sie die Sachen, die wir machten, mochte."

Zwei Nummern sind nicht von Mitchell. "Solitude" und "Nefertiti" haben aber einen biografischen Bezug. "Man muss sich das vorstellen! ,Solitude', in der Version von Billie Holiday, hat sie mit neun gehört. Joni sagte mir vor Jahren, dass sie in ihrer Jugend Charles Mingus, Holiday und Wayne gehört hat. Ihr Fundament war Jazz, noch bevor sie Musikerin wurde. Joni sagte: Der einzige Grund, dass sie bei der Folkmusik gelandete ist, war, dass sie vom Wort herkam. Und wenn man hört, wie sie hier singt, dann bemerke ich in der Phrasierung Frank Sinatra und Miles Davis."

Übrigens: Bis auf Norah Jones war keine der Stimmen dieser CD mit Hancock im Studio: "Das war nicht unbedingt das, was ich wollte. Aber das war die einzige Möglichkeit, sie zu bekommen. Es ist schwer, alles zusammenzubringen, wir hatten insgesamt nur sieben Tage im Studio." Es klingt dennoch sehr anständig, was Norah Jones, Luciana Souza und Leonard Cohen so mit den Tunes machen. Nur Corinne Bailey Rae tönt ein bisschen unverbindlich-putzig. Dafür darf man sich über Tina Turner wundern. Die Seniorin, die ihre Popkarriere beendet hat, rafft sich hier zu einer markanten Interpretation auf. Das hat etwas. Hancocks Spiel selbst ist sehr malerisch, harmonisch geprägt und hält sich in vielen Phasen an die Popakkordik. Der Atmosphäre hilft es, es hat aber auch etwas Harmloses. (Ljubisa Tosic/ RONDO/ DER STANDARD, Printausgabe, 5.10.2007)