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Behandelt werden die Migranten von ausgebildeten Ärzten.

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Wien/Mainz - Ist es realistisch, als Aupair-Mädchen von Afrika nach Deutschland zu gehen, sich zu verlieben, schwanger zu werden und nicht mehr zurückzuwollen? Meist bleibt einem dieser Weg versperrt; es folgt die Abschiebung. Denn der Aupair-Vertrag und die daran geknüpfte Aufenthaltsgenehmigung werden durch eine Schwangerschaft gebrochen.

Medinetz ist eine Möglichkeit, zu medizinischer Versorgung zu kommen. Der 2005 von deutschen Medizinstudenten gegründete Verein berät illegale Migranten in Gesundheitsfragen. Nach einer Kurzdiagnose werden die Patienten zu einem der 35 Ärzte oder in Krankenhäuser weitergeleitet, mit denen die Studenten ausgehandelt haben, dass die Patienten nicht gemeldet werden. Verpflichtet sind Ärzte in Deutschland nicht, illegale Migranten zu melden. Sobald die Patienten aber zum Sozialamt oder zu einem staatlichen Krankenhaus gehen, um einen Krankenschein zu erhalten, wird dem Ausländeramt Bescheid gegeben.

Netzwerke knüpfen

Hier wollen die Studenten helfen und Knotenpunkt eines Netzwerkes sein: "Unsere Beweggründe dafür waren, dass es endlich jemanden geben musste, der sich um diese Gesellschaftsschicht kümmert", erklärt Jörg Reuter, Medizinstudent im praktischen Jahr und einer der drei Vorstände von Medinetz Mainz sein Engagement. Sie waren die ersten Studenten in Deutschland, die das bis dahin von Ärzten Deutschlands durchgeführte Medinetz-Konzept für Mainz übernommen haben. Selbst praktizieren sie aber nicht einmal medizinische Erstversorgung: "Wir machen das nicht, um als Medizinstudenten an Versuchskaninchen herumzuprobieren. Uns geht es um längerfristige Betreuung", klärt Reuter auf.

Ein Medinetz-Partner ist so auch eine Krebsklinik in Mainz: "Wir versuchen gerade eine Chemotherapie für eine 27-jährige Afrikanerin zu finanzieren", ist Reuter froh über jede Kooperation. "Die stationären Kosten übernimmt die Klinik", zeigt sich Reuter stolz über diesen Erfolg.

Speziell für Frauen und Kinder ist die studentische Arbeit wichtig, hier sei auch die Resonanz groß: "Eine afrikanische Frau, die vor zwei Wochen zu uns kam, war im achten Monat schwanger und noch nie bei einem Frauenarzt", sagt Reuter schockiert.

Man müsse aber, bevor man medizinisch berät, auch viele rechtliche Schritte hinter sich bringen. "Bei einem Fall mussten wir den Vater zu einem DNA-Test überreden, damit das Kind und die Mutter einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen", berichtet er von einem Fall. Bei Geburten und Operationen fallen immense Kosten an, die nicht vom jeweiligen Krankenhaus gedeckt werden. Diese werden dann meist mit Spendengeldern gedeckt. "Die Patienten zahlen monatlich einen Betrag, der für sie möglich ist, an uns zurück." Entgegen allen Vorurteilen wäre es nicht ungewöhnlich, dass illegale Ausländer arbeiten: "Das sind doch nicht alle Obdachlose", entkräftet Reuter Vorurteile. In anderen europäischen Staaten würde es keine Pflicht der öffentlichen Krankenhäuser geben, Migranten, die sich illegal im Land aufhalten, zu melden.

Medinetz versucht über die Lücken im Gesundheitssystem aufzuklären: "Unser Ziel ist es, eines Tages nicht mehr nötig zu sein, da eigentlich der Staat die Aufgabe hätte, sich um die Gesundheit der Leute ohne Papiere zu kümmern."

Auch Versicherungsbetrug wollen sie vorbeugen: "Solche Leute geben oft einfach einen falschen Namen an und sagen, sie sind privatversichert."

Mehr als Faktenpauken

Aus dem trockenen Unialltag zu flüchten und über die Gesundheitssystematik mehr zu lernen, waren Beweggrün-de für die Medizinstuden- tin Jordis Trischler, vor acht Monaten bei Medinetz Mainz mitzumachen. "Im Studium wird man immer mit Fakten vollgestopft, hier kann ich mein soziales Engagement praktizieren", freut sich die 24-Jährige.

Zuvor hatte sie ein "verschwommenes Bild" über Leute ohne Aufenthaltsgenehmigung, jetzt lerne sie diese mit ihren Schicksalen persönlich kennen. "Vor allem bei längeren Fällen entwickelt man einen Bezug zu den Patienten."

Man müsse aber persönlich den Abstand wahren und auf einer "medizinischen Ebene" bleiben.(Nora Edelsbacher/DER STANDARD Printausgabe, 2. Oktober 2007)