Modern ausdifferenziertes Nachbild des antiken Marktplatzes als Ort des Diskurses und Handelns: der "Schwarzmarkt" im Grazer Orpheum.

Foto: Johannes Gellner / steirischer herbst

Vier Stunden Gespräche zwischen Experten rund um den Themenkomplex der "Gabe" und teilweise erstaunlich sattelfesten Laien wurden im Rahmen des steirischen herbstes zu einem atmosphärisch dichten Ereignis.

Graz – Dieser Abend ist ein Geschenk. Und das zunächst einmal im durchaus wörtlichen Sinn, zumal die "Installation mit 100 Expertinnen und Experten" von Hannah Hurtzig bei freiem Eintritt stattfindet, jener "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen", der seit dem Jahr 2005 in verschiedenen Städten Station gemacht hat und nun zum ersten Mal nach Österreich gekommen ist.

Der Grundgedanke ist dabei ebenso schlicht wie bestechend: Zu immer anderen Themen versammelt die Kuratorin und Spezialistin für vernetzte Kommunikationsformen von der Berliner Mobilen Akademie an unzähligen kleinen Tischen Fachleute auf mehr oder weniger nahe liegenden Gebieten, mit denen man für jeweils eine halbe Stunde ins Gespräch kommen kann. Dann rücken andere Personen nach, und wer keinen der begehrten Plätze ergattert hat, kann sich über Funkverbindung in einzelne Unterhaltungen einklinken. Weil aber nun einmal das, was nichts kostet, nichts wert ist, bezahlt man für ein Expertengespräch an einem der Tischchen einen Euro.

Da es sich freilich um einen Schwarzmarkt handelt, ist dies nur ein Nominalpreis: Bei erhöhter Nachfrage wird eine Auktion gestartet, und der Preis klettert schlagartig in die Höhe. Auch in anderer Form als mit Geld kann durchaus ein Ticket erstanden werden, zuweilen werden die allesamt weiblichen Händlerinnen auch richtig unverschämt und verlangen freche Summen. "Wir sind alle bestechlich!", rufen die als Stewardessen verkleideten Schauspielerinnen, die den Handel abwickeln, ins Gedränge jener, die einen Experten zu buchen versuchen, und für Insider hat es vorab die Möglichkeit gegeben, sich an den Warteschlangen vorbeizuschwindeln. "Da gelten andere Regeln."

Vierzig Gabentische

Das für den steirischen herbst vorbereitete Thema "Die Gabe und andere Verletzungen des Tauschprinzips" passt auf Graz besonders, erinnert es doch an einen, sagen wir, speziellen Umgang mit Bettlern, die trotz rigoroser Regelungen immer noch das Stadtbild mitprägen, nun aber in besonders demütiger Haltung das Verbot "aggressiven" Bettelns zu umgehen versuchen.

Das Dilemma der Vorbeigehenden bildet indes nur einen Sonderfall aller Situationen, in denen Geschenk oder Gabe zunächst einmal ein Ungleichgewicht herstellen. Georges Bataille oder Jacques Derrida, aber auch schon Siegmund Freud waren dem Problem bereits auf der Spur, das im an sich ja spendenfreudigen Österreich vielleicht eine besondere Brisanz besitzt. Denn sowohl für Charityveranstaltungen als auch für das freundschaftserhaltende Geschenk gilt, dass im Grunde keine Gabe ohne Gegenleistung erbracht wird, auch wenn diese meist jenseits des Materiellen stattfindet.

Zwar geht es bei der Gabe in der Regel nicht um einen ökonomischen Tausch, sondern eher um einen symbolischen, gleich, ob man ein Lächeln als Dank erwartet oder sich gegenüber dem Empfangenden – in welcher Form auch immer – symbolisch erhöht, sei es bewusst oder unbewusst.

Antiker Marktplatz

In größerer oder geringerer Nähe zu diesem Kern des Themas kreisten die Gespräche in Graz um die Bedeutung der Gabe in den verschiedensten Kulturen, etwa im arabischen Raum, in Subkulturen, in Literatur, Musik, Kunst, Comics und Filmen – mit Fachleuten von der Bundesministerin bis zum Bettler, vom Mathematiker bis zur Millionenshow-Gewinnerin, vom Priester bis zur Performance-Künstlerin. Dass währenddessen besonders fröhlich den leiblichen Genüssen gefrönt wurde, womit man letztlich doch wieder das Tauschprinzip integrierte, wirkte dabei nicht einmal als besonderer Widerspruch. Und das war nur eine der Merkwürdigkeiten des Abends: ein Setting, das sich zunächst überhaupt nicht nach einem Kunstprojekt, sondern eher wie ein modern ausdifferenziertes Nachbild des antiken Marktplatzes als Ort des Diskurses und Handels anhörte, wurde dem Alltag enthoben, entwickelte eine konzentrierte, offene, kommunikative Atmosphäre. Was sich alles so ergeben kann, wenn man die Gabe besitzt, es annehmen zu können ...

Anlässlich des Grazer "Schwarzmarkts" erschien eine aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "Maske und Kothurn" (Böhlau Verlag Wien). (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.10.2007)