Demonstrierten Zusammenhalt: der Chef der Perspektivengruppe Josef Pröll und der Chef der Volkspartei Wilhelm Molterer.

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Wien - Das ÖVP-Perspektivenpapier ist seit heute publik. Anlass für die Erstellung dieser Art Programm war die Wahlschlappe der Volkspartei, in deren Folge Obmann Wolfgang Schüssel den entsprechenden Prozess unter Führung der damaligen Zukunftshoffnung Josef Pröll einleitete. Insgesamt 16 Arbeitsgruppen wurden eingesetzt, mehr als 100 öffentliche Veranstaltungen mit insgesamt über 10.000 Teilnehmern abgehalten. Im Internet wurden 7.000 "substanzielle Beiträge" eingebracht. Jetzt liegt ein 64 Seiten starkes Papier vor.

Der Grundtenor des oft ein wenig schwülstig daherkommenden Papiers ist im Wesentlichen ein Kompromiss zwischen Freunden einer leichten Modernisierung der Partei - Stichwort Homo-Ehe - und dem eher konservativeren Flügel - Stichwort Schulpolitik. Im Wesentlichen nachgegeben wurde den Wünschen der Wirtschaft, etwa mit der Forderung nach Verlagerung der KV-Abschlüsse auf die Betriebsebene. Tabubrüche wie ein Ende der Neutralität oder eine Einschränkung des freien Hochschulzugangs fanden letztlich keinen Platz im Endpapier, wiewohl sie von den Untergruppen angeregt worden waren.

Konfliktträchtige Punkte

Neben den bereits am Sonntag bekannt gewordenen Punkten wie Eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle und Familiensteuer-Splitting finden sich in dem 64 Seiten starken Papier noch andere konfliktträchtige Punkte. So plädiert die Perspektivengruppe mit ihrem Leiter Josef Pröll unter anderem für die Einführung einer CO2-Steuer im Kfz-Bereich, eine Steuer auf internationale Devisen-Transaktionen (Tobin-Tax), eine Teil-Privatisierung der ÖBB, die Verbreiterung der Beitragsgrundlage in der Sozialversicherung sowie für eine Einschränkung der Kollektivvertragshoheit der Sozialpartner.

Konkret wendet sich die Perspektivengruppe gegen das bisher angewandte Modell der Branchen-KVs. Die Lohnabschlüsse sollen gemäß den Ideen der schwarzen Reformer künftig auf Betriebsebene abgewickelt werden. Weitere Kampfansage an die Arbeitnehmer-Vertreter: Die Arbeiterkammer-Umlage soll gesenkt werden.

"Zeitwertkonten"

Wohl auch nicht überall gerne gehört wird ein Vorschlag, der letztlich auf eine Reduktion der bezahlten Überstunden hinausläuft. Beim Modell der "Zeitwertkonten" sollen sich die Beschäftigten gewisse Ansprüche (z. B. Überstundenzuschläge) nicht auszahlen lassen, sondern in Form von "freier Zeit" ansparen, die dann nicht nur für "vorgezogene Pensionen" oder für die Kinderbetreuung, sondern auch für die Fort- und Weiterbildung nutzbar gemacht werden kann.

In Sachen Steuerreform wird eine Senkung des Höchststeuersatzes und eine Abflachung der Tarifkurve eingefordert. Gleichzeitig will man das Steuersystem radikal vereinfachen. Ein wichtiges Projekt stellt für die Perspektivengruppe "eine systematische Umstellung der Beitragsgrundlagen in der Sozialversicherung" bei gleichzeitiger Senkung der Beitragssätze dar. Überhaupt tritt man dafür ein, dass vor allem im Bereich der Krankenversicherung die Finanzierung mehr über Steuern und weniger über Beiträge erfolgt.

Realativ wenig Neues im Gesundheitsbereich

Relativ wenig Neues gibt es ansonsten im Gesundheitsbereich zu vermelden. Neben dem Dauerbrenner einer Aufwertung der Hausärzte soll es auch Vorteile für gesundes Leben geben. Dran kommen sollen die Raucher. Vorgeschlagen wird ein Bonus bei den Versicherungsbeiträgen für Nicht-Raucher.

Nicht ohne sind die Vorschläge der ÖVP für die Österreichischen Bundesbahnen. Die Bereitstellung des Schienennetzes und die Festlegung des Umfangs des Busnetzes sei in erster Linie staatliche Aufgabe. Der Personen- und Güterverkehr sollte aber stärker als bisher mit privater Beteiligung abgewickelt werden, heißt es im Reform-Papier.

CO2-Steuer

Für den Straßenverkehr wird die Einführung einer CO2-abhängigen Besteuerung vorgeschlagen, die sowohl bei der Normverbrauchsabgabe als auch bei der motorbezogenen Versicherungssteuer ansetzt. Weiters im Umwelt-Kapitel angeregt wird ein 10.000-Dächer-Programm für die Nutzung der Sonnenenergie.

An der Steuerschraube drehen möchte die ÖVP bei internationalen Kapitalflüssen. Pröll und co. setzen sich für die Einführung einer europa- und weltweiten Devisentransaktionssteuer ein.

Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten

Eher erfreulich zumindest für Eltern wäre die Umsetzung der VP-Forderung nach steuerlicher Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Beim Familiensteuer-Splitting tritt man im Wesentlichen dafür ein, dass die Belastung pro weiterem Kind abnimmt. Bei Beziehern niedriger Einkommen will die ÖVP insofern nachhelfen, als der Staat die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen könnte. Weiter auf der schwarzen Tageordnung steht auch der Kombi-Lohn.

Die Große Koalition scheint der ÖVP-Perspektivengruppe nicht recht zu schmecken. Im heute vorgelegten Papier wird doch recht deutlich die Einführung eines Mehrheitswahlrechts angedacht. Man müsse über klare Mehrheitsverhältnisse im Parlament jenseits großer Koalitionen nachdenken, denn durch das bestehende Wahlrecht erzwungene Koalitionen könnten die Demokratie mehr schädigen als sichtbare Richtungsentscheidungen bei Wahlen, heißt es in dem Programm - und weiter: "Eine Debatte über die verschiedenen Optionen des Mehrheitswahlrechts ist eröffnet." E-Voting will man bereits bei der nächsten EU- Wahl erproben.

Einzementiert

Im Schulbereich zementiert sich die ÖVP - zumindest rhetorisch - weiter ein: "Eine Einheitsschule, in welcher Form auch immer, lehnen wir ab." Ein verpflichtendes Vorschuljahr wird vorgeschlagen, sollten Mindeststandards bei bereits schulpflichtigen Kindern nicht erreicht sein. Angedacht wird die Möglichkeit eines fünften Volksschuljahres für Kinder mit Förderbedarf statt einem frühzeitigem Aufstieg in die Mittelstufe ohne entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten. Zusätzlich soll es - einem niederösterreichischen Wunsch entsprechend - auch die Option geben, die ersten sechs Schulstufen gemeinsam anzubieten, wobei die letzten beiden Jahre bereits von Hauptschul- bzw. Gymnasiallehrern unterrichtet werden.

Bei den Kindergärten spricht sich die Perspektivengruppe für ein kostenloses Angebot ab dem 4. Lebensjahr in der Vormittagsbetreuung und für eine soziale Kostenstaffelung bei der Nachmittagsbetreuung aus. Am anderen Ende der Bildungsskala bekannte sich die Volkspartei entgegen ursprünglichen Erwägungen zum freien Hochschul-Zugang. Die Fachhochschulen sollen "massiv" ausgebaut werden. Bei Lehrlingen verlangt die Perspektivengruppe eine Mindestentschädigung von 500 Euro.

Gratis-Laptop

Nach der Volksschule sollen alle Kinder mit einem Gratis-Laptop ausgestattet werden. Zur weiteren Entlastung der Familien ist vorgesehen, dass Eltern mit Kindern bis zu zwei Jahren mit dem Mutter-Kind-Pass eine Gratis- Parkmöglichkeit in Städten bekommen. Die Gebühren für Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis oder das Eintragen des Kindes in den Reisepass sollen fallen.

Einem schwarzen Tabubruch gleich kommt der Vorschlag, eine eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle - ohne Adoptionsrecht - einzuführen. Die Fristenlösung an sich stellt man nicht in Frage, allerdings soll es einige Erschwerungen geben. So ist die Trennung von beratendem und abtreibendem Arzt sowie eine verpflichtende Bedenkzeit zwischen Beratung und Durchführung vorgesehen. Ferner plant man anonyme statistische Erhebungen und Motivforschungen, die maßgeschneiderte Hilfsangebote möglich machen.

Österreich-Card

In der Zuwanderungspolitik will die Perspektivengruppe eine rechtzeitige Öffnung des Arbeitsmarktes innerhalb der EU sowie ein Migrationsmodell für qualifizierten Zuzug nach den Beispielen von Kanada oder Australien mit dem Namen Österreich-Card. Im Bereich der mit Österreichern Verheirateten gibt es nach Ansicht der VP-Gruppe Handlungsbedarf. Diese Personen sollten einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Personen mit Migrationshintergrund werden explizit eingeladen, sich in der ÖVP zu engagieren.

Dem Vorschlag einer Untergruppe, die Neutralität abzuschaffen wird ebenso wenig Folge geleistet wie dem Wunsch nach Verlegung des Nationalfeiertags. Zum "Kern" der Neutralität gibt es ein ausdrückliches Bekenntnis. Dieser sei ein "unverzichtbarer Bestandteil unseres Selbstverständnisses". Skeptisch bleibt man gegenüber dem EU-Beitritt der Türkei, der allenfalls einer Volksabstimmung unterzogen werden müsste. Angeregt wird ein "dritter Weg" im Sinne einer vernünftigen Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei ohne Mitgliedschaft in der Union. Unterstützt wird die Integration des gesamten Westbalkans in die Union. (APA/red)