Über das Leben mit MS sprachen Thomas Berger (MS-Ambulanz Innsbruck), Neurologe Franz Fazekas aus Graz, MS-Forschungspionier Hans Lassmann, Präventivmediziner Siegfried Meryn und Robert Schlögel aus dem Gesundheitsministerium mit Standard-Redakteurin Karin Pollack (von links).

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Die genauen Ursachen für die Multiple Sklerose (MS) sind nicht bekannt. "Vieles deutet aber darauf hin, dass Infektionen in der Kindheit das Abwehrsystem angreifen", eröffnete Hans Lassmann vom Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien das Gespräch über eine Autoimmunerkrankung, an der in Österreich zwischen 350 bis 450 Personen pro Jahr neu erkranken.

Schwierige Diagnose

Besonders schwierig ist die Diagnose. "MS kann in Auftreten und Verlauf sehr unterschiedlich sein ", sagte Professor Thomas Berger von der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie. Die Diagnose erfolgt heute über drei Säulen, mit denen 95 Prozent der MS-Erkrankungen festgestellt werden können: Das Eruieren klinischer Symptome und deren Verlauf, die Kernspintomografie (Magnetresonanztherapie) sowie die Liquoruntersuchung, also die Untersuchung der Gehirnflüssigkeit aus dem Rückenmark.

"MS kann mitunter sehr tricky sein", sagt Berger. "Bei manchen Patienten treten beim Erstschub nur sehr leichte Symptome auf, sodass sie nicht als solche erkannt werden." So können in manchen Fällen drei bis fünf Jahre bis zur definitiven Diagnose vergehen.

Anzahl der Schübe reduzieren

Die Behandlungsmöglichkeiten von MS haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verbessert, betonte Franz Fazekas von der Universitätsklinik für Neurologie Graz. Früher habe man nur Symptome - wie Zittern, Gliedersteifheit oder Blasenschwäche - behandeln können. "Über Interferone können wir heute das Immunsystem so beeinflussen, dass die Entzündlichkeit eingedämmt und die Anzahl der Schübe reduziert werden", sagt Fazekas.

Neue Substanz Natalizumab

Eine neue Möglichkeit sei die Behandlung mit Natalizumab, einer Substanz, die verhindert, dass Entzündungszellen ins Gehirn eindringen und dort die Schutzschicht der Nerven angreifen. Derzeit laufen weltweit rund 150 Therapiestudien zu MS, bei rund 70 davon werden neue Substanzen getestet. Als quasi "härteste" Form der heutigen Behandlung nannte Berger die Stammzellentransplantation, wie sie bei bestimmten Leukämieformen durchgeführt wird.

Stammzellentransplantation

Das Immunsystem des Patienten wird durch eine Chemotherapie ausgelöscht, bevor Blutstammzellen transplantiert werden. Rund 150 Patienten seien weltweit so behandelt worden, allerdings mit "sehr unterschiedlichen Erfolgen", schränkte Berger ein.

Heikle Frage

Eine heikle Frage ist, wie früh man bei MS-Patienten mit der medikamentösen Therapie beginnen soll. Schließlich kann es auch bei einem einzigen Schub bleiben. Anderseits gilt, je früher eine Behandlung einsetzt, desto besser das Ergebnis. "Hier gibt es keine einfache Antwort", sagte Lassmann. Die Schwierigkeit der Entscheidung bestehe auch darin, dass man bei Langzeittherapien, so wie bei MS erforderlich, nie völlig ausschließen könne, dass nach vielen Jahren Nebenwirkungen auftreten.

Etwas klarer sei die Entscheidung, wenn nahe Verwandte ebenfalls an MS leiden. MS-Gen gibt es aber keines, vielmehr eine Prädisposition, an der eine Reihe genetischer Faktoren beteiligt sind.

Individueller Verlauf

"Der Idealfall wäre natürlich, wenn wir voraussagen könnten, wie die Krankheit im Individualfall verlaufen wird", formuliert Berger das Forschungsziel. "Wir Ärzte müssen MS-Patienten bestmöglich informieren, weder den Teufel an die Wand malen, noch das Blaue vom Himmel versprechen", forderte er.

Kann man MS vorbeugen?

"Laut Studien erhöht Rauchen das MS-Risiko", sagte Lassmann. Auch werde ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und zu wenig Sonne bei der Erkrankung vermutet. Berger betonte aber, dass man einzelne Faktoren, auch Diäten, nicht überbewerten dürfe. Es sei kontraproduktiv, Patienten apodiktisch Angst zu suggerieren.

Bleibt die Frage, ob Österreich genug in die MS-Forschung investiert. "Grundsätzlich kommen MS-Patienten hierzulande alle in den Genuss der neuesten Therapie", beruhigte Fazekas, forderte aber mehr Geld für klinische Forschung von der öffentlichen Hand.

Kein Geld für Forschung

Robert Schlögel, Leiter der Abteilung Prävention im Gesundheitsministerium, spielte den Ball ins Wissenschaftsministerium: "Das Gesundheitsministerium überprüft die Behandlungsqualität."

Siegfried Meryn, in der Rolle als Präventivmediziner auf dem Podium, ärgerte sich über diese "Doppelköpfigkeit", mit der hierzulande gearbeitet werde: "Einerseits wird der Pharmaindustrie vorgeworfen, sie sei nur am Profit interessiert, dann aber haben die Ministerien kein Geld für Forschung." Nach den Zukunftsvisionen in der MS-Forschung befragt, wünscht sich Berger, dass durch eine exakte Diagnose mithilfe von Biomarkern für jeden Patienten eine maßgeschneiderte Therapie möglich sein wird.

Die Krankheit stoppen

Das erklärte Ziel: die Krankheit stoppen. Sein Kollege Fazekas hofft, dass für die bis dato kaum behandelbare progrediente MS-Form neue effiziente Behandlungsstrategien gefunden werden. Lassmann schloss sich diesem Wunsch an und gab sich optimistisch: "In den letzten zwei Jahren haben wir begonnen, die unterschiedlichen Formen der MS langsam zu verstehen." Es würde, so Lassmann, allerdings sicher noch viele Jahre dauern, bis es Medikamente geben wird.

Impfung gegen MS

Siegfried Meryn griff, wie er sagte, "gleich nach den Sternen" und wünscht sich eine Impfung gegen MS. Einig waren sich die Diskutanten da-rüber, dass MS-Patienten am meisten unter der Stigmatisierung leiden. Multiple Sklerose ist eine Erkrankung, bei deren Bewältigung Patienten und Mediziner miteinander kooperieren müssen. (Sabina Auckenthaler, MEDSTANDARD, 01.10.2007)